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Wohngeld Wohngeld: «Sog. Hungerbogen» erhitzt Gemüter

Von Sylvia Czajka 27.12.2002, 19:46

Köthen/Magdeburg/MZ. - Norbert Pawlik kann es kaum fassen. Der Köthener spricht von Entwürdigung. Pawlik, der sich seit Jahren um die Wohngeld-Beantragung für seine 93-jährige Tante kümmert, zeigte sich aufgebracht über ein zusätzliches Formular von der Wohngeldstelle der Stadt Köthen, das nun auszufüllen sei. Und das in einem internen Papier des Ministeriums für Bau und Verkehr des Landes als "sog. "Hungerbogen" bezeichnet wird.

"Kaum vorstellbar": Nicht nur, dass in dem Bogen eine Gegenüberstellung der Ein- und Ausgaben im Detail gefordert sei. Unterm Strich, errechnete Pawlik, reiche das jedoch nicht zum Leben. Seine Tante nämlich müsse monatlich noch auf ihre Ersparnisse zurückgreifen. Das Lachen ist Pawlik längst vergangen, und er hoffe nicht, dass jener, der sich dieses Formular einfallen ließ, mal in die Lage gerät, es auszufüllen. Es habe schon etwas von Erniedrigung, sagt er. Aber "ich habe es ausgefüllt." Doch bei einigen Positionen war es ihm unmöglich: wie Einnahmen von Kindergeld oder Trinkgeld, vom Nebenverdienst der 93-Jährigen ganz zu schweigen.

Wie die Stadtverwaltung auf MZ-Anfrage informierte, handele es sich bei dem "neuen Antragsformular" um einen Ergänzungsbogen, der ausgereicht werde, wenn Unstimmigkeiten auftreten, Einnahmen und Ausgaben nicht nachvollziehbar sind oder anzunehmen sei, dass die oder der Betreffende Anspruch auf anderweitige Leistungen wie Sozialhilfe/Grundsicherung habe. Diese Anträge würden im Regierungsbezirk Dessau verwendet und sind vom Landesrechnungshof anerkannt.

Doch was Pawlik weitaus mehr ärgerte, war die Formulierung in dem Schreiben, was die Adresse des Regierungspräsidiums (RP) trug. "Sog. Hungerbogen", das sei doch eine Frechheit. Wie könne man mit dem Elend der Menschen so spielen, fragt er. Die MZ fragte im RP nach. Pressesprecher Andreas Borschel teilte nach Recherchen im Haus mit, "wir haben diese Formulierung nicht verfasst". "Das Schreiben kam von uns", bestätigte Harald Kreibich, der betonte, dass die Wahl des Begriffs nicht in diskriminierender Absicht erfolgt sei, dafür spreche der Umstand, dass das "so genannt" vor der Erläuterung und das zitierte Wort in Anführungen und Klammer gestanden habe. "Die Verwendung des Begriffs ist auf keinen Fall akzeptabel", so der Pressesprecher des Bau-Ministeriums. Das bedeute, dass alle Abteilungen darauf hingewiesen wurden, keine Begriffe zu verwenden, die von Außenstehenden als herablassend und diskriminierend empfunden werden können. Es sei bedauerlich. "So etwas darf nicht vorkommen", so Kreibich.