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Besondere Sammlung im Naturkundemuseum Warum ein russischer Botaniker Flechten vom Südpol nach Dessau gebracht hat

Von Danny Gitter 17.10.2021, 14:00
Der Arktisforscher Mikhael Andreev begutachtet die Flechtensammlung des Naturkundemuseums.
Der Arktisforscher Mikhael Andreev begutachtet die Flechtensammlung des Naturkundemuseums. Foto: Thomas Ruttke

Dessau/MZ - Sie sind wahre Überlebenskünstler und halten es selbst an den entlegensten und kältesten Orten des Planeten oder eben auch in Pappkartons oder Vitrinen aus. Nicht nur deshalb ist Mikhael Andreev von Flechten so fasziniert. „Sie können sehr viel“, sagt der Botaniker und Antarktisforscher vom Komarov-Institut für Botanik in St. Petersburg. In einigen asiatischen Ländern haben es Flechten schon auf den Speiseplan geschafft. An ihrer arzneilichen Wirkung wird ebenso intensiv geforscht. Auch als Indikatoren für Umweltveränderungen sind die symbiotischen Verbindungen aus Pilzen und Algen ein wichtiger Gradmesser.

Den russischen Forscher zieht es regelmäßig dort hin, wo die Klimaveränderungen derzeit besonders dynamisch sind. Noch im Oktober bricht der 67-Jährige wieder für ein paar Monate zu einer erneuten Expedition in die Antarktis auf.

Vorher fand er noch Zeit für einen kurzen Aufenthalt in Deutschland. „Der wissenschaftliche Austausch mit den deutschen Kollegen ist uns sehr wichtig“, betont der russische Wissenschaftler. Unter anderem in Halle und Dessau-Roßlau schaute Andreev kürzlich vorbei. In der Saalestadt entsteht eine Publikation über Johann Christian Buxbaum (1693 - 1730). Der gebürtige Merseburger war einst dem Ruf an den russischen Zarenhof von Peter dem Großen nach St. Petersburg gefolgt und hat dort als Botaniker wichtige Aufbauarbeiten in seiner Disziplin geleistet. Mit den Kollegen der Martin-Luther-Universität ist Andreev regelmäßig, auch persönlich, in Kontakt.

Dessauer Museum ist eine wichtige Adresse für russischen Forscher

In Dessau-Roßlau ist das Museum für Naturkunde und Vorgeschichte schon seit Jahren eine wichtige Adresse für ihn. Die Einrichtung beherbergt auch eine beachtliche Sammlung von über 100 Exponaten arktischer und antarktischer Flechten. Andreev hilft bei seinen Aufenthalten vor Ort, diese zu bestimmen und bringt auch immer wieder neue Exponate von seinen Expeditionen mit.

Das letzte Mal war er kurz vor dem Ausbruch der weltweiten Pandemie im ewigen Eis. Wenn es auf der Nordhalbkugel Winter ist, dann herrscht im tiefsten Süden der Erde Sommer. In der Antarktis ist der in der Regel nicht wärmer als im einstelligen Plusbereich. „Bei meinen letzten Expeditionen waren längere Phasen mit zweistelligen Temperaturen nicht mehr ungewöhnlich“, berichtet der Forscher.

Die Grünflächen werden immer größer. Es gibt schon erste ernsthafte Überlegungen, in den antarktischen Sommermonaten auf den grünen Flächen wieder Tiere grasen zu lassen. Auch Flechten breiten sich in der Antarktis wieder stärker aus. „Sie können uns viel über die Klimaveränderungen und die Vegetation in dieser Region erzählen“, sagt der Botaniker.

Erkenntnisse über Flechten werden in eine offene Datenbank eingepflegt

Einige Exemplare aus dem nicht mehr so ewigen Eis der Antarktis, die Andreev bei seiner letzten Expedition eingesammelt hat, sind im Museum für Naturkunde und Vorgeschichte in einer Vitrine im Eingangsbereich ausgestellt. Andere dagegen warten noch auf ihre nähere Bestimmung. Mit Hilfe von Fachliteratur, persönlichen Aufzeichnungen und einem Mikroskop brachte der Gast aus St. Petersburg bei seinem kürzlichen eintägigen Forschungsaufenthalt in Dessau wieder etwas mehr Licht ins Dunkel. Die Erkenntnisse werden in eine Datenbank eingepflegt und sind dann von überall aus in der Welt online einsehbar. „Das kann dem Museum helfen, international bekannter zu werden“, so Andreev.

Den Grundstein zur Flechtenforschung in Dessau legte schon im 19. Jahrhundert der anhaltische Botaniker Richard Staritz mit Exemplaren hauptsächlich aus Mitteleuropa. 2012 überließ Michael Gruner aus Vockerode seine Flechtensammlung aus der Antarktis dem Museum als Dauerleihgabe. 1985 brauchte die sowjetische Forschungsstation in der Antarktis einen Techniker, der tauchen konnte. Gruner kam auf die Station, begann sich intensiver mit Flechten zu beschäftigen, legte sich eine Sammlung an und lernte Andreev kennen. Eine jahrzehntelange Freundschaft entstand.

Im Ruhestand engagiert sich Gruner im Museum regelmäßig ehrenamtlich. „Es ist immer wieder schön zu sehen, wie Wissenschaft Brücken bauen kann“, sagt der russische Gast zum Abschied und verspricht, 2022 möglichst wieder in die Doppelstadt zu kommen, dann mit neuen Exponaten von der bevorstehenden Antarktis-Expedition.