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Handwerk Vor 20 Jahren aus dem Irak geflohen - heute Obermeister der Friseurinnung in Dessau

Herrsh Majed Kakabra hat er nicht nur Salons in Dessau und Halle, sondern kümmert sich auch um die Probleme der anderen Friseure. Besonders drängende Themen sind die Nachwuchsgewinnung und Weiterbildung.

Von Heidi Thiemann 12.03.2022, 09:00
Heersh Majeed Kakabra ist neuer Obermeister der Fiseurinnung Dessau-Roßlau.
Heersh Majeed Kakabra ist neuer Obermeister der Fiseurinnung Dessau-Roßlau. Foto: Thomas Ruttke

Dessau/MZ - Die Friseurinnung Dessau-Roßlau hat sich neu aufgestellt. An der Spitze steht ein Mann, der vor 20 Jahren seine Heimat im Irak verlassen hat. Geflohen ist der Kurde vor Krieg und Verfolgung. Ohne Sprachkenntnisse und Berufsabschluss kam er in Deutschland an. Heute ist Herrsh Majed Kakabra nicht nur verbriefter Meister seines Fachs, sondern Obermeister der Friseurinnung in der Stadt, in der er zwei Barbiersalons betreibt und selbst jeden Tag mit Kamm und Schere hantiert.

Die Friseurinnung Dessau hatte kurz vor der Auflösung gestanden

„Ohne Herrn Kakabra gäbe es die Friseurinnung heute nicht mehr“, sagt Karl Krökel, Chef der Kreishandwerkerschaft. Seit einiger Zeit schon war die Arbeit der Innung zum Erliegen gekommen. Das hatte Alters- und Gesundheitsgründe. Aber auch der Nachwuchs fehlte, der sich im Ehrenamt engagiert. Umso glücklicher war Krökel, als Kakabra auf ihn zukam.

„Hier fehlt alles, keine Ausbildung mehr am Berufsschulzentrum, keine fachliche Schulungen für die Kollegen. Das kann nicht sein“, sagt Kakabra. Der sich nicht vorstellen kann, dass junge Leute heute nicht mehr Friseur werden möchten. „Das ist ein schönes Handwerk“, erzählt der 39-jährige Handwerksmeister. Er findet, die Frisur eines Menschen sei so wichtig wie Essen und Trinken. „Wenn etwas nicht in Ordnung ist, dann hat man keinen schönen Tag.“

Dass die Menschen mehr schöne Tage haben, Kakabra will dafür sorgen - und denkt dabei nicht nur an sich, sondern auch an die Frauen und Männer, die täglich in den Salons der Stadt arbeiten. „Ich möchte nicht nur meinen eigenen Job sehen, sondern auch anderen helfen“, sagt er. Und kann dabei auf die Hilfe von Krökel setzen, der Kakabra als ehrenamtlicher Geschäftsführer der Friseurinnung unterstützt.

Aufgewachsen in einer Familie voller Friseure

Aufgewachsen ist Herrsh Majed Kakabra in einer Familie, „in der alle Friseure waren“, wie er erzählt. Als Kind hat er schon in Salons vieles abgeschaut und geholfen - beim Vater, später auch bei der Schwester, die einen Damensalon hatte. „Und meine Schwester hat gemerkt, dass ich was kann“, sagt er lächelnd. Eine Ausbildung, wie sie in Deutschland üblich ist, gibt es im Irak nicht.

Als Kakabra 2002 das Land seiner Väter, wie viele Freunde vor ihm, verlassen hatte, führte ihn sein Weg quer durch Europa nach Deutschland. Erst nach Köln, dann nach Zeitz ins Asylbewerberheim. „Ich wollte sofort Deutsch lernen“, erinnert er sich, auch eine Schule besuchen, um einen Abschluss zu erhalten. Für den Schulbesuch war er zu alt. Und Sprachkurse gab es nicht. Von Kindern im Zeitzer Heim, die in die Schule gingen, lernte er die Sprache seiner neuen Heimat. Als er später seine Freundin, eine Kosmetikerin, in Halle kennenlernte, „hatte mir das auch sprachlich richtig doll geholfen“.

Vom Gerüst zurück zu Kamm und Schere und noch einmal auf die Schulbank

„Bis 2010“, blickt er zurück, „hatte ich keine richtige Arbeit. Egal, was ich gemacht habe, ich hatte immer Friseur im Kopf.“ Zwar hatte er übers Arbeitsamt in einer Maßnahme Gerüstbauer gelernt, doch seine Berufung war das nicht. Also überlegte er, was er am besten kann und gründete seinen ersten Salon in Halle. Seit 2013 ist er Mitglied der Handwerkskammer.

Als er selber Ausbilder werden wollte, wurde das abgelehnt, „denn ich hatte keinen deutschen Berufsabschluss“. Doch einen Abschluss wollte der Mann unbedingt, wandte sich immer wieder mit seinem Anliegen an die Handwerkskammer. „Wenn ich fachlich gut bin, dann kann ich den Meister anfangen“, erfuhr er - und begann die Ausbildung. Keine leichte Zeit war das, vor allem mit der Theorie hatte er zu kämpfen, gibt Kakabra zu. Fachlich war er nach eigenem Bekunden dagegen „immer top“. Doch mit Fleiß kam er ans Ziel. Im Oktober 2017 hatte er den Meisterbrief in der Tasche.

Kein Herrenfriseur in Dessau? Vor fünf Jahren eröffnete er hier den ersten Salon

2017 auch war das Jahr, als Freunde, die zu ihm in den Salon nach Halle kamen, meinten, er müsse nach Dessau kommen, da fehle ein Herrenfriseur. Er eröffnete „Barbier Heersh“ in der Zerbster Straße, zwei Jahre später kam „Barbier Herrsh“ in der Askanischen Straße dazu.

18 Mitarbeiter hat Kakabra heute - in den drei Salons in Dessau und Halle. Pläne, in Dessau einen weiteren Friseursalon sowohl für Damen als auch Herren zu eröffnen, hat er längst im Kopf, auch Kosmetik und Fußpflege sollen das Angebot abrunden. Corona hat diesen Plänen bislang aber einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Friseure haben viele Sorgen: Gewinnung von Nachwuchs, fehlende Weiterbildung, unlauterer Wettbewerb

Doch im Kopf hat Kakabra auch die verschiedenen Anliegen der Mitglieder der Friseurinnung. Da sind die Nachwuchssorgen und die fehlende Weiterbildung. Da ist aber auch die Sorge seiner Kollegen, dass Salons eröffnen könnten, die ihre Dienste zum Dumpingpreis anbieten oder die zwar eine Friseurmeisterin anstellen, jedoch nur auf dem Papier.

„Alle sollen nach deutschem Recht arbeiten“, ist Kakabras Meinung. „Wir haben in diesem Land Regelungen und Gesetze. An die muss sich jeder halten“, sagt der Mann, der hier nicht nur eine neue Heimat gefunden hat, sondern längst auch deutscher Staatsbürger ist.