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Von Dessau nach Serbien Von Dessau nach Serbien: Wie geht es Familie Gasi nach der Abschiebung?

Von Andreas Friske 27.04.2016, 12:51
Andreas Friske (Mitte) hat die Familie Gasi in Serbien besucht.
Andreas Friske (Mitte) hat die Familie Gasi in Serbien besucht. Andreas Friske

Belgrad - Andreas Friske (21) hat sich im Sommer 2015 ehrenamtlich um die Roma-Familie Gasi gekümmert, die in Dessau gelandet ist. Im August wurde sie nach Serbien abgeschoben. Was ist aus ihr geworden? Er hat sie in Belgrad besucht.

Müll. Überall liegt Müll herum. Und der Gestank, der von all den Müllbergen ausgeht, ist unerträglich. Die meisten der windschiefen Hütten im Roma-Ghetto Ledina haben keinen Wasseranschluss. Der Weg zur Toilette führt zu grünen und blauen Metallbehältern, die die Stadt Belgrad bereitgestellt hat. Hier gilt der als wohlhabend, der auf seinem Dach eine angerostete Satellitenschüssel hat. An provisorisch angebrachten Wäscheleinen hängen Klamotten und Decken. Wer eingebaute Türen und Fenster hat, kann sich glücklich schätzen. Ansonsten schützen wehende Bettlaken mehr schlecht als recht vor Wind und Wetter.

Ausbruch aus der Armseligkeit

In Ledina, fünfzehn Minuten von der Innenstadt von Belgrad entfernt, hat die Familie Gasi einmal gelebt. In einer Bruchbude, die inzwischen weitgehend eingestürzt ist und deren Wände nur noch notdürftig mit Holzplanken gestützt werden. Ein armseliger Ort, an dem Gazmen Gasi vor einem Jahr beschlossen hatte, auszubrechen, weil er seiner Familie eine bessere Zukunft ermöglichen wollte. Die Chance dazu hat einmal bestanden, Gazmen hatte ein Jobangebot in Dessau. Doch er und seine Familie waren nach ihrer Flucht nach Deutschland nur geduldet gewesen, und so war es ihm vom Gesetz her nicht erlaubt, hier zu arbeiten.

Die Familie Gasi war seit Mai 2014 in Dessau. In der Nacht zum 21. August 2015 platzte dann der Traum von der besseren Zukunft, sie wurden in den Morgenstunden abgeholt und nach Serbien abgeschoben. Begründung: Serbien ist ein sicheres Herkunftsland, ein Asylgrund sei nicht erkennbar.

Gazmen und seine Frau Merita waren in dieser Nacht geschockt, ihre Kinder weinten fast ohne Unterlass. Nur einer klagte nicht, der geistig behinderte Bilal, der das alles wie ein kleiner Junge betrachtete, der Teil eines spannenden Films geworden war. Gazmen nennt das, was er und seine Familie damals erlebt hatten, auch heute noch „eine große Katastrophe“.

Heimweh nach Dessau

Der Autor dieser Reportage hatte sich in Dessau um die Familie gekümmert und wollte wissen, wie es Gazmen, seiner Frau Merita und ihren Kindern Sarah, Amina, Nafia und Bilal heute geht. Vorneweg: Es geht ihnen den Umständen entsprechend gut. Aber sie sind traurig. Dessau fehlt ihnen, gerne erinnern sie sich an all die Menschen, die vor wenigen Monaten noch an ihrer Seite gestanden hatten und ihnen helfen wollten. Gazmen hält über die sozialen Netzwerke Kontakt zu ihnen, zur Klassenlehrerin von Nafia etwa in der Schule am Akazienwäldchen, aus der das Mädchen stets gute Noten mit nach Hause gebracht hatte. Auch heute, in Belgrad, ist sie die Klassenbeste. Und doch sind sie fern, die Dessauer. Gazmen spricht vom „Heimweh nach Dessau“, seine Tochter Nafia sagt aber auch, dass sie froh darüber ist, wieder in Serbien bei ihren Freunden zu sein.

Heute lebt Gazmen mit seiner Familie in einem sehr kleinen Haus. Immerhin konnte er die Trostlosigkeit des Ghettos hinter sich lassen, in dem er und seine Familie vor ihrer Flucht nach Deutschland gelebt hatten. Viel besser ist es hier aber auch nicht. Es gibt in den Räumen kaum Möbel, in Deutschland würde man sagen: ungemütlich.

Schimmelflecken im neuen Heim

An den Wänden hängen keine Bilder, Schimmelflecken sind der einzige Schmuck - und schuld daran, dass die Kinder regelmäßig krank werden. Am dritten Tag des Aufenthalts des Autors musste Sarah in ein Krankenhaus, das Thermometer zeigte 40 Grad Fieber an, die Verschreibung eines Medikaments kostete sechzig Euro. Gekocht wird in der spartanisch eingerichteten Küche auf einer einzigen Herdplatte. Das Wohnzimmer ist dominiert von einem billigen Sofa, auf dem die gesamte Familie in der Nacht auch schläft.

Gazmen verdient als Gärtner rund 300 Euro, allein die Hälfte davon geht für die Miete drauf. Er schuftet zehn bis zwölf Stunden am Tag, doch spätestens um den 20. eines Monats herum wird das Geld knapp. Dann zieht Gazmen mit einer Karre los und sammelt Flaschen, Altpapier und Schrott auf, das er dann zu einer Recycling-Anlage bringt. Ein Kilo Plastikflaschen bringt fünfzig Dinar, etwa fünfzig Eurocent. Die Serben trennen ihren Müll nicht und überlassen die Drecksarbeit traditionell den Roma. Im schlimmsten Falle sucht Gazmen in Müllcontainern vor Supermärkten nach Essensresten. Kann seine Frau nicht arbeiten gehen? Gazmen lehnt das ab. Eine arbeitende Frau ist für einen muslimischen Roma unakzeptabel. Doch wäre das sowieso keine Alternative. Merita muss sich um die beiden kleinsten Mädchen kümmern, da Kindergartenplätze Geld kosten, das die Familie nicht hat.

Wie wird es weitergehen? Gazmen zieht die Schultern hoch und sagt: “Unser Traum ist es, nach Deutschland zurückzukehren. Nach Dessau. Doch will ich dann kein Bittsteller mehr sein. Hoffentlich wird Serbien demnächst EU-Mitglied. Dann kommen wir wieder. Nicht als Flüchtling. Sondern als freie Menschen.“ (mz)