Unter den Augen eines Hessens Unter den Augen eines Hessens: Das Naturkundemuseum feiert seinen 90. Geburtstag

Dessau - Der 90. Geburtstag des Dessauer Museums für Naturkunde und Vorgeschichte wird am Sonntag gefeiert. Seit seiner offiziellen Gründung 29. Oktober 1927 wurde es von vielen Direktoren geleitet. Der aktuelle, Ernst Görgner, ist der siebte - und der Direktor, der das Amt bisher am längsten inne hat.
Geboren und aufgewachsen in Frankfurt am Main, sozialisiert im hessischen Rhein-Main-Ballungsraum und studiert an der Goetheuniversität seiner Heimatstadt, ist der Hesse in der deutschen Zeitenwende zum Anhalter geworden. Historisch-romantische Verklärung war nicht dabei, sondern nüchterne Reaktion auf eine interessante Stellenausschreibung.
Die Stadt Dessau suchte ab 1991 einen neuen Direktor für ihr Museum für Naturkunde und Vorgeschichte. Görgner arbeitete bis dahin im Senckenberg Naturmuseum Frankfurt.
Umzug aus der westdeutschen Metropolregion nach Dessau
Die Bewerbung des diplomierten Biologen mit dem Hauptfach Zoologie sowie bestandenen Prüfungen in den Nebenfächern Botanik und Frühgeschichte passte bestens ins Profil. Ernst Görgners Person überzeugte dann auch den damaligen Oberbürgermeister Jürgen Neubert und Kulturdezernenten Manfred Jendryschik. Der Hesse vom Jahrgang 1955 kam an bei den anhaltischen Kulturbürgern.
Aus der westdeutschen Metropolregion nach Dessau gezogen und anfangs per Wohnberechtigungsschein im Zoberberg einquartiert, bekam Görgner erst einmal ganz große Augen. Geweitet von der Landschaft an der Mittelelbe im naturbelassenen Zustand. „Die wunderbare Natur hat mich vom ersten Tag an fasziniert.“
Was der zum Anhalter gewordene Hesse hier noch zu schätzen gelernt hat, sind Besonderheiten, die manch Einwohner kaum noch wahrnimmt: Dessau ist die grüne Stadt der kurzen Wege, wo mit dem Rad vom Zentrum aus fast jedes Ziel binnen zehn Minuten erreicht werden kann.
Museumsdirektor in Dessau seit nunmehr 27 Jahren
Seit 2006 hat Görgner seinen privaten Lebensmittelpunkt aus Dessau-Nord nach Coswig verlegt. „Aber da ist genau noch die Elbe und das ist immer noch Anhalt“, schwärmt der „Zugezogene“.
Der erste Eindruck von der neuen Arbeitsstätte fällt differenzierter aus: „Sehr interessant, mit großen Sammlungen und viel zu tun.“ Dieser Arbeit geht der Museumsdirektor Nummer 7 inzwischen seit 27 Jahren nach. So lange hatte keiner seiner Vorgänger auch nur annähernd das Amt inne.
Zwei große bauliche Maßnahmen am Museum in städtischer Trägerschaft rücken gleich in den ersten fünf Dienstjahren des neuen Direktors auf die Agenda: Da ist zuerst die vollständige Sanierung des Museumsturmes von 1991 bis 1993.
Zwei große Baustellen in der Ära Görgner
Dieses imposante Bauwerk ragt 40 Meter zu den Wolken auf, krönt seit 1847 das ursprüngliche Leopold-Dank-Stift, das seit 1927 als Museum für Naturkunde und Vorgeschichte genutzt wird.
Öffentlich genutzt aber werden kann es erst nach der Sanierung 1993. Seither führt der hohe Turm mit der erdgeschichtlichen Ausstellung zu den „Schätzen aus dem Untergrund“ ganz tief hinab in die Steinzeit und Vorgeschichte.
Die zweite Großbaustelle in der Ära Görgner schloss sich unmittelbar an: Von 1993 bis 1996 war die Gebäudehaut am Westflügel des Museums zu sanieren. Die Wetterseite parallel zur Kavalierstraße war reichlich ramponiert.
Neben den Baustellen vertiefte sich der Museumsdirektor in die fachliche Arbeit mit einem fünfköpfigen Team von drei Wissenschaftlern aus den Fächern Geologie, Archäologie und Entomologie sowie zwei Präparatoren.
Das Naturkundemuseum will das Wissen über komplexe Zusammenhänge vermitteln
Görgner ist stolz auf alle Sammlungen in „seinem“ Museum, kann und will keine explizit hervorheben. Was ihm persönlich ganz wichtig ist: „Zu sehen, wie alles auf dieser Welt ineinander greift, miteinander vernetzt ist und keine Entwicklung ohne Konsequenzen für den Nachbarn bleibt.“
So folgen dem Klimawandel eben Stürme und Hochwasser, der Monokultur in Wald und Feld das Artenstreben bei Pflanzen und Insekten, der Verrohrung von Bächen der eingeschränkter Lebensraum für Tierarten in Feuchtgebieten.
Das Naturkundemuseum könne das Wissen über diese komplexen Zusammenhänge anschaulich widerspiegeln und vermitteln, „und fängt damit am besten bei den Kindern an“, schlägt das Herz des Zoologen Ernst Görgner. (mz)
Vor 90 Jahren, am 29. Oktober 1927, wurde das Museum für Naturkunde und Vorgeschichte Dessau im Gebäude der ehemaligen Kunsthalle gegründet. Aus Anlass des 90-jährigen Jubiläums findet am Sonntag, 12. November, um 15 Uhr im Nachbargebäude des Hauses, in der Askanischen Straße 30 (ehemalige Grillbar), eine Festveranstaltung statt.
Im Beisein des Beigeordneten für Wirtschaft und Kultur der Stadt Dessau-Roßlau, Robert Reck, führt Museumsdirektor Ernst Görgner in einem Vortrag durch die 90-jährige Geschichte des Museums. Der Dessauer Naturfotograf Thomas Hinsche hält anschließend einen weiteren Vortrag mit dem Titel „Die Mittelelbe und der Eisvogel“. Thomas Hinsche ist der Enkel des von 1948 bis 1959 wirkenden und damals sehr populären Museumsdirektors Alfred Hinsche.
Zum Abschluss wird noch eine exklusive Führung durch die Ausstellung “Evolution unterwegs“ angeboten.