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Enkeltrick hat viele Gesichter Unbekannte heucheln in Dessau Fürsorge und erbeuten Geld und Schmuck

Opfer sind zwei Frauen - 103 und 72 Jahre alt. Die Geschichte, die die Kriminellen ihren Opfern erzählen, ist sehr fein gesponnen. Was die Polizei rät.

Von Annette Gens Aktualisiert: 12.04.2022, 13:25
Telefonisch setzen die Täter ihre Anrufer unter Druck, um am Ende an Geld oder Wertgegenstände  zu kommen.
Telefonisch setzen die Täter ihre Anrufer unter Druck, um am Ende an Geld oder Wertgegenstände zu kommen. imago images/Fotostand

Dessau-Rosslau/MZ - Sie sind mit allen Wassern gewaschen, haben keine Achtung vor Personen, geschweige denn vor deren Alter. Es geht ihnen nur um eines: den schnöden Mammon. In Dessau-Roßlau hat das vor wenigen Tagen eine 103-Jährige zu spüren bekommen. 3.000 Euro und ihren Schmuck musste die betagte, aber sehr fitte Rentnerin zusetzen. Der Schreck, so schilderte Dessau-Roßlaus Polizeichef Marcus Benedix, sitze dem Betrugsopfer noch immer in den Gliedern.

Die Polizei nimmt diesen Kriminalfall vom 30. März und einen weiteren vom 5. April jetzt zum Anlass für einen rigorosen Rat: „Lassen Sie Ihren Namen aus dem Telefonbuch streichen“, rät Dessau-Roßlaus Polizeichef allen Senioren vor dem Hintergrund raffinierter Betrugsmaschen am Telefon. Die Polizei geht davon aus, dass die Täter ihre Opfer in Telefonbucheintragungen finden und bundesweit unterwegs sind. Die Masche sei so perfide, da Hilfsbereitschaft suggeriert wird, weshalb es schwerfalle, sie hinter jedem Anruf sofort zu erkennen.

Enkeltrick in vielen Varianten

Die 103-jährige Dessau-Roßlauerin soll trotz ihres stattlichen Alters selbstbestimmt leben, kenne auch den Enkeltrick, würde vermutlich niemals auf Anrufe eines vermeintlichen Enkels mit der Bitte um Bargeld hereinfallen. Sie erkannte aber diese ihr präsentierte Version der Betrugsmasche nicht, soll zunächst dankbar für die ihr entgegengebrachte Fürsorge gewesen sein. Ihr wurde am Telefon von einem vermeintlichen Mitarbeiter der Dessauer Stadtsparkasse geschildert, dass die Polizei eine Mitarbeiterin der Sparkasse festgenommen hätte, weil diese Falschgeld herausgegeben habe. Der „besorgte Sparkassenmitarbeiter“ kündigte an, umgehend zwei seiner Mitarbeiter zu schicken, die die falschen Banknoten gegen „echte“ eintauschen würden.

Rund 30 Minuten nach diesem Anruf erschienen tatsächlich zwei Männer in der Wohnung der aufgeregten 103-Jährigen. Die Frau gab den Männern 3.000 Euro Bargeld heraus. Daraufhin wurden die vermeintlichen Geldboten noch mutiger, fragten scheinheilig, ob ihr Schmuck sicher lagere. Auch diesen konnten sie schließlich mitnehmen.

Ähnlich ergangen ist es am 5.April einer 72-jährigen Dessauerin. Auch ihr wurde die Geschichte von der betrügerischen Sparkassenmitarbeiterin aufgetischt. Der Anrufer suggerierte ihr, er könne sie gleich mit der Polizei verbinden. Tatsächlich sprach die Frau mit einer „Polizistin“, zu der der Anrufer „verbunden“ hatte und die den Sachverhalt bestätigte. Die 72-Jährige glaubte sich offenbar auf der sicheren Seite, gab Bargeld und Münzen an die vermeintlichen Boten heraus. Die Polizei spricht von einem Schaden im vierstelligen Bereich.

Was Dessau-Roßlaus Polizeichef zu dem rigorosen Rat der Telefonbuchstreichung veranlasst, ist der Fakt, dass der Kriminalisten sich sicher sind, wie der Betrug vor sich geht, aber tatsächlich die wenigsten Fälle aufgeklärt werden können. Und die Menschen, die betroffen sind, ihr Eigentum meist nie wieder sehen. Tatsächlich, so Benedix, haben sich in der Stadt zwischen 2018 und 2021 die kriminellen Machenschaften von Enkeltrick und damit verbundenen Schockanrufen vervielfacht. Und auch die Schäden seien in jedem Jahr höher ausgefallen. 2018 wurden im Polizeirevier 13 Betrugsfälle angezeigt. Elf davon blieben im Versuch stecken. Einer konnte aufgeklärt werden. In dem unaufgeklärten Fall erbeuteten der oder die Täter 7.400 Euro.

In den Jahren danach hagelt es in Dessau-Roßlau immer mehr Anzeigen. Insgesamt 18 Taten sind es 2019, eine davon glückt. Schaden: 33.000 Euro. 2021 ermittelt die Polizei in 63 Fällen. 61 blieben im Versuch stecken. Die Täter erbeuteten in zwei (unaufgeklärten) Fällen 51.000 Euro.

Gewinn kommt nie

Auch bei sogenannten Gewinnversprechen, wo Menschen ein Gewinn in Aussicht gestellt wird, der nie ausgezahlt wird, sie aber eine Zahlung geleistet haben, liegt die Aufklärungsquote bei nahezu Null. In den vergangenen vier Jahren haben Dessau-Roßlauer so fast 10.000 Euro eingebüßt.

In Betrugsfällen - so auch bei der 103-Jährigen - kümmert sich die Polizei sehr um die Opfer. Aber sie kann nicht alles vergessen machen, eingebüßtes Geld und Schmuck wieder beschaffen. Dessaus Polizeichef Benedix glaubt, dass die wenigsten Opfer dem Geld nachtrauerten, sondern eher darüber sinnieren, wie sie auf diese Betrügereien hereinfallen konnten.

Wie die Nichte der betagten 103-Jährigen schilderte, gibt es einen weiteren Aspekt. „Meine Tante verband mit dem Schmuck sehr viele Erinnerungen an ihre Familie.“ Zumal sich unter den Schmuckstücken auch der Ehering ihres verstorbenen Mannes befunden haben soll. Die Frau erlitt einen „absoluten Schock“, sagt die Nichte. „Ich weiß nicht, ob diese Tat ihr nicht ein Stück Lebenskraft gestohlen hat.“ Dass so ein Vorfall schlagartig in ein Leben tritt, das wünsche sie keinem.