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Umgang mit Rollstuhlfahrern Umgang mit Rollstuhlfahrern: Achtklässler erleben Herausforderungen des Alltags im Rollstuhl hautnah

Von danny gitter 14.03.2014, 20:23
Für eine Sportstunde mit dem Behinderten- und Rehabilitationssportverband setze sich die Klasse 8c vom Philanthropinum in die Rollstühle.
Für eine Sportstunde mit dem Behinderten- und Rehabilitationssportverband setze sich die Klasse 8c vom Philanthropinum in die Rollstühle. Lutz Ssebastian Lizenz

dessau-rosslau/MZ - Unfall. Diagnose Querschnittslähmung. Und das Leben ist nicht mehr wie es vorher war. Vor über zwei Jahrzehnten hat Mathias Sinang das Schicksal auf diese Weise herausgefordert. Der Rollstuhl ist seitdem sein täglicher Begleiter.

„Reden wir nicht über die ersten zwei Jahre. Die waren echt hart“, so der Hallenser. Denn der Alltag da draußen, sobald die Reha vorbei war, der war plötzlich ganz anders. Man muss neue Perspektiven einnehmen und mit ganz vielen Hindernissen lernen umzugehen“, sagt der 51-Jährige in der Retrospektive. Heute geht für ihn vieles leichter, gerade auch durch Sport. „Der Sport hat mir gezeigt, wie man mit einer Querschnittslähmung leichter leben kann“, so Mathias Sinang. Lebensmut hat der Hallenser daraus geschöpft und sich auf diese Weise als Botschafter des Projekts „Bewegung verbindet - Rollstuhlsport macht Schule“ besonders empfohlen.

Seit 2011 touren bis zu 40 Mal pro Kalenderjahr Sinang und die anderen behinderten und nichtbehinderten Botschafter des Projekts quer durch Sachsen-Anhalts Schulen, um die Jugendlichen im Umgang mit Rollstuhlfahrern zu sensibilisieren. Am Donnerstag machten sie auf Einladung von Andrea Peinert, mit Unterstützung des MZ-Medienprojekts „Klasse“ Station am Philanthropinum. „Ich habe vor zwei Jahren, als das Sportprojekt das erste Mal hier war, zufällig die Aktion mit den Rollstühlen gesehen und mir fest vorgenommen, wenn ich eine eigene Klasse habe, es noch mal herzuholen“, erzählt Andrea Peinert, Klassenlehrerin der Klasse 8c am Gymnasium Philanthropinum.

In einer Doppelstunde in der Sporthalle und auf dem Schulhof sollten ihre 26 Schützlinge lernen, was es heißt mit einem Rollstuhl umzugehen. „Diese 90 Minuten haben hoffentlich einen nachhaltigen Effekt, damit meine Schüler dann mehr über den angemessenen Umgang mit körperbehinderten Menschen wissen“, hofft die Lehrerin. „Das alles funktioniert am besten ohne den moralischen Zeigefinger“, weiß Mathias Sinang. Deshalb stand am Donnerstag bei den Übungen auch immer der Spaß im Vordergrund, jedoch ohne die Ernsthaftigkeit des Anliegens aus den Augen zu verlieren.

Reinsetzen, losrollen, seine Runden drehen. So einfach ist das für die Jungs der Klasse auf dem ebenerdigen Boden der Turnhalle, während draußen ihre Klassenkameradinnen auf dem Schulhof mit für Rollstuhlfahrer alltäglichen Hindernissen wie Steigungen, Senken, Pflaster und Bordsteinen kämpfen müssen.

Die in der Halle nehmen im wahrsten Sinne des Wortes Fahrt auf. Schon bald muss Matthias Sinang die ehrgeizige Truppe bremsen, auch um ihnen zu zeigen, dass im Rollstuhl auch Sport getrieben werden kann. Basketball zum Beispiel. Schnell lernen die Rollstuhl-Laien das Alphabet der Korbjagd auf Rädern und spielen kurze Zeit später ihre erste Partie, als ob es das Selbstverständlichste auf der Welt wäre. „Mit der Zeit vergessen die meisten im Rollstuhl zu sitzen und sind vom Ehrgeiz getrieben“, beobachtet Mathias Sinang immer wieder. Taktiken werden ausgeklügelt und immer wieder versucht Körbe zu machen. Was im Sitzen gar nicht so einfach ist. Doch irgendwann klappt auch das.

Als gelegentliches Hobby betreibt der 51-jährige Hallenser die Korbjagd. Mehr Ehrgeiz investierte er bisher in die Leichtathletik. Im Rennrollstuhl und auf dem Handbike fuhr Sinang schon deutsche Meisterschaften auf der Bahn ein und siegte 2009 beim Hamburg-Marathon. Das Spiel nähert sich dem Ende. Vier zu Eins Körbe wurden gemacht. Der Bizeps brennt, an den Händen bilden sich Blasen.

Im Rollentausch mit den Mädchen wird der geschützte Raum Turnhalle gegen die ungehobelte barrierereiche Realität draußen auf dem Schulgelände eingetauscht. Volker Möws, Sporttherapeut an der Unfallklinik Bergmannstrost in Halle, zeigt, welche Herausforderung ein zentimeterhoher Bordstein sein kann und wie tückisch das Fahren auf Kopfsteinpflaster ist. Die Laien merken, wie schnell man hier an Grenzen stoßen kann. „Es wäre schön, wenn ihr durch diese Erfahrung in Zukunft bei der Begegnung mit einem Rollstuhlfahrer Verständnis für deren Situation habt und eure Hilfe anbietet. Ich mache das immer so“, entlässt Möws die Achtklässler aus diesem Experiment.

Die ziehen ein ganz eigenes Fazit. „Es hat Spaß gemacht. Das Leben im Rollstuhl muss trotzdem ganz schön hart sein“, sagt Erik Richter. „Am Anfang fand ich es lustig. Dann nur noch zum Kotzen. Das Leben im Rollstuhl ist anstrengend“, findet Richters Klassenkameradin Lea Batz.