Theaterblut kann auch kitzeln
Dessau/MZ. - Die Darmschlinge ist ein Kondom, aus dem blutgetränkter Zellstoff quillt. Das Blut ist künstlich, zu haben ist es auch mit Kirschgeschmack. Vor allem ist das Blut aber kalt. "Das krabbelt mir an der Seite runter", kichert Kathi. Nicht mehr lange. Die Wunderheilung steht kurz bevor. Zwei, drei Handgriffe, dann ist aus der aufgeplatzten Bauchdecke wieder ein glatter Mädchenbauch geworden. Nur die Unterwäsche ist ruiniert. Kein Drama angesichts des enormen Erkenntnisgewinns dieses Tages.
"So etwas wie die offene Bauchdecke gibt es als Darstellung in Lehrbüchern ganz selten. Nun wisst ihr, wie das aussieht", sagt Michael Koska in die Runde. Während vor den Fenstern ein wunderschöner Spätherbstnachmittag zu Ende geht, tobt in der Baracke im Schwarzen Weg eine kleine Materialschlacht mit Blut, Kleister, Kitt und Fleischpaste. Das geht die ganze Woche schon so. Hier trifft sich das Jugendrotkreuz zur Aus- und Fortbildung in realistischer Wund- und Unfalldarstellung.
"Wir sind 23 Leute: elf Schminker und zwölf Mimen", sagt Michael Koska. Damit ist die Hierarchie klar. Es gibt Opfer und Täter. Jene, die wie Kathi auf der Decke liegen und einiges über sich ergehen lassen, und solche, die wie Patrick Erdmann mit Pinsel, Schwämmchen und Geschick hantieren. Von letzterem hat Patrick, der
Schminker, ganz viel. "Fertig ist der Picasso." Salopp präsentiert er den Zuschauenden seine Arbeit am Bauch. Seit fünf Jahren ist der 23-Jährige in seiner Freizeit mit Schminkkasten und all den Tiegeln, Töpfchen und Requisiten, die es für das Wundschminken braucht, unterwegs. Seine Arbeit beim Jugendrotkreuz korrespondiert gut mit seinem Job: Patrick ist Maler und Lackierer. Und er hat einen Traum. Das Schminken als Hauptberuf. Traurig ist er deshalb, dass ein Kurs in den Babelsberger Filmstudios ausfiel.
"Das wäre eine Chance für Patrick gewesen", glaubt auch Mitschminker Michael Koska. Er ist der ältere Bruder von Mimin Kathi. Dass seine kleine Schwester mit einem offenen Bauch daliegt, ist auch ein wenig seine Schuld. "Irgendwann sagte er, ich solle mitkommen zum Jugendrotkreuz, weil noch Leute gebraucht wurden", erzählt die 16-Jährige. Aus dem einen Mal wurde mehr. Sie blieb dabei. Noch ist sie, wie viele andere in der Gruppe, nur Mimin. Doch irgendwann will auch sie Schminkerin werden.
Der Weg dorthin ist durchaus mit einigen Mühen verbunden. "Zunächst braucht man eine Erste-Hilfe-Ausbildung, dann kann man Mime werden und nach einem Lehrgang am Wochenende mit Prüfung ist man Probeschminker", erklärt Patrick Erdmann. Die Probezeit gilt für ein Jahr, hat man diese schließlich bestanden, bleiben immer noch die regelmäßigen Fort- und Weiterbildungen wie beispielsweise in dieser Woche.
"Es ist spannend, so etwas nachzustellen", meinen die jungen Leute unisono über ihre Freizeitbeschäftigung. Dass die Dessauer Gruppe einen guten Ruf genießt, beweisen nicht zuletzt Anfragen aus der ganzen Region, wenn Katastrophen- und Feuerwehrübungen anstehen und dafür Unfallopfer und Schminker benötigt werden. "Ungefähr vier große Übungen gibt es im Jahr", sagt Michael Koska. Offene Bauchdecken oder auch Skalpierungen, wie sie am Donnerstag geprobt wurden, werden dort eher selten geschminkt. Schnitt- und Platzwunden und Verbrennungen werden meist gewünscht. "Das dauert nicht länger als fünf Minuten", sagt Patrick Erdmann. "Aber am schnellsten geht das." Er steckt sich etwas in den Mund, kaut ein wenig und zeigt blutige Zähne. "Die Blutkapseln gibt es auch mit Fruchtaroma."