Tagegeld für's Klinikum Tagegeld für's Dessauer Klinikum: Stefan Schwan will mit Flaschensammeln Schulden begleichen

Dessau - Immer, wenn er einen zweistelligen Betrag zusammen hat, dann geht Stefan Schwan zur Sparkasse und zahlt das Geld auf seinem Konto ein. Es ist hart verdientes Geld, das er durch Flaschensammeln verdient hat. Stück für Stück will der 49-Jährige damit Schulden begleichen, die er beim Städtischen Klinikum hat.
20 Tage war der Hartz IV-Empfänger im August 2018 im Krankenhaus und noch einmal fünf Tage zur Nachbehandlung im April 2019. Genau 250 Euro Krankenhaustagegeld stehen insgesamt auf der Soll-Seite. Er weiß, dass es für Hartz-IV-Empfänger bei Zuzahlungen im medizinischen Bereich eine Obergrenze von zwei Prozent des Jahreseinkommens gibt.
Damit würden sich zumindest die Verbindlichkeiten von 2018 in etwa halbieren. Doch: „Ich spare so lange, bis ich die vollen 250 Euro zusammen habe. Diesen Stolz besitze ich. Ich will den Betrag irgendwann komplett überweisen können“, sagt Schwan.
Fast 100 Euro hat er bisher auf der hohen Kante
Fast 100 Euro hat er bisher auf der hohen Kante. Wann er „schuldenfrei“ sein wird, ist offen. „Es kommt auf die Umstände an“, sagt er. Es gibt Tage, da kommt er schmerzbedingt nicht aus seiner Wohnung. An manchen Tagen ist Schwan mehrere Stunden im Dessauer Stadtgebiet unterwegs, um nach Flaschen zu suchen und hat am Ende nur zwischen ein bis zwei Euro auf dem Pfandbon stehen. An seltenen guten Tagen stehen zweistellige Euro-Einnahmen auf der Habenseite.
Es war, so erinnert sich Schwan, ein Samstag im August 2018, der ihm die Misere mit den Krankenhausschulden einbrachte und auch sein Leben noch einmal zusätzlich auf den Kopf stellte. „Ich hatte Freikarten für das Partyzelt am Flugplatz“, erzählt Schwan. Plötzlich sei er aber im Zelt ausgerutscht. Zwar konnte er nach einer Weile wieder gehen und fuhr mit dem Fahrrad zu sich nach Hause in Dessau-Alten. Vorbei war es dort aber nicht.
Die Diagnose im Klinikum in Alten war ein sechsfacher Wirbelsäulenbruch
Die Schmerzen ignorierte Schwan lange. Doch am Montag danach konnte er nicht mehr laufen und rief den Notarzt. Die Diagnose im Klinikum in Alten war ein sechsfacher Wirbelsäulenbruch. Eine Operation und ein Krankenhausaufenthalt folgten. Die Nachwirkungen spürt er bis heute. Medikamente und ein wöchentliches Muskelaufbautraining beim PSV 90 sollen helfen, die Schmerzen zu lindern. Doch sie sind für den 49-Jährigen ein fast alltäglicher Begleiter.
An eine reguläre Beschäftigung ist daher aus seiner Sicht kaum zu denken. Schwan überlegt, einen Rentenantrag zu stellen - in dem Wissen, dass das Geld, was er dann bekommt, sicherlich auch nicht höher als seine derzeitige Grundsicherung ausfallen wird.
Also wird Flaschensammeln eine wichtige Einnahmequelle für Schwan bleiben. „Früher habe ich mir gedacht, so etwas hast Du zum Glück nicht nötig, wenn ich Leute gesehen habe, die das machten“, erinnert sich der Hartz-IV-Empfänger.
Vor rund zwei Jahren beobachtete Schwan einen Mann beim Flaschensammeln - und fing an, das auch zu machen
Im Waggonbau Dessau ist er einst in die Lehre gegangen. Dann hat der Dessauer jahrelang als Saisonkraft in der Gastronomie auf verschiedenen Nordseeinseln, an der Mosel und in Österreich gearbeitet. Warum er das dann nicht mehr machte, darüber spricht er nicht. In seiner Heimat Dessau bezieht er seit rund zehn Jahren Hartz IV, nur mit kurzzeitigen Unterbrechungen. Zweimal hatte Schwan die Chance, da raus zu kommen. Zweimal gingen die Gastronomen, für die er bediente, pleite. Arbeitslosigkeit wurde für ihn zum Alltagstrott. Das Geld war immer knapp.
Vor rund zwei Jahren beobachtete Schwan einen Mann beim Flaschensammeln - und fing an, das auch zu machen. Er freute sich über etwas Geld für Besuche im Kino oder Café. Die Scham, Leute wegen ihrer leeren Pfandflaschen anzusprechen oder in Papierkörbe zu greifen, hat er schnell überwunden. Von einer Schicksalsgemeinschaft von rund 40 Leuten, die im Dessauer Stadtgebiet regelmäßig Flaschen sammeln, spricht Schwan. Er gehört dazu.
Der Umgang ist fair, wie er betont. „Revierkämpfe um Flaschen haben wir hier glücklicherweise nicht“, erzählt er. Auch Passanten seien ihm fast immer wohlgesonnen, berichtet Schwan. Mit manchen kommt er ins Gespräch. Die stecken ihm meistens auch noch zusätzlich Scheine zu. „Trotz aller schwierigen Umstände, kann ich mich kaum genug dafür bedanken, dass es in Dessau immer wieder Menschen gibt, die es gut mit einem meinen.“ (mz)