Der feine Unterschied Stuckateur Dimitri Reibestein aus Dessau sammelt Fassadenschriften

Dessau - „Oder hier, die Ö-Punkte“, sagt Dimitri Reibestein und hält eine Kassette mit Dias gegen das Licht und deutet auf eines der Bilder. Die Punkte vom Ö sind in dessen Inneres gewandert. Reibestein ist begeisterter Sammler von plastischen Fassadenschriften. Wo immer er welche sieht, fotografiert er sie. Einst über vielen Geschäften und Firmensitzen zu finden, ist diese Art der Außenwerbung massiv vom Aussterben bedroht, oftmals verdrängt von billig wirkenden Leuchtkästen.
Enrico August stand kurz davor, den Leuchtkasten über seinem Laden erneuern zu lassen. Die Fassade seines Orthopädiegeschäfts in der Antoinettenstraße wurde gerade saniert, da schien die Gelegenheit günstig. Reibestein, gelernter Stuckateur half bei den Arbeiten, und er war es, der den Orthopädietechniker von seiner Idee mit dem Leuchtkasten abbrachte. Wie, so schlug er vor, wäre es stattdessen, den Schriftzug „Sanitätshaus August“ in einer plastischen Putzschrift auszuformen?
Die Passion für solche Schriften entwickelte Reibestein während seiner Lehre
Die Passion für solche Schriften entwickelte Reibestein während seiner Lehre. Das Magdeburger Theater erhielt eine neue Beschriftung: „Theater der Landeshauptstadt Magdeburg“, dazu die Aufforderung „Freudig trete herein und froh entferne dich wieder“. Letzteres ist ein Goethe-Zitat, erstere mittlerweile ersetzt durch ein bescheideneres „Opernhaus“.
„Das“, erinnert sich Reibestein, „waren ganz viele Buchstaben aus Gips. Und seitdem verfolge ich das Thema ein bisschen.“ Das Thema mit einem Wort zu benennen, ist schwer. Es fehlt ein übergeordneter Begriff für die plastischen, mit der Fassade verbundenen Schriften aus Gips oder Mörtel.
August betreibt das Sanitätshaus in dritter Generation. Die Wohnung der Familie lag über Werkstatt und Laden. Als sein Vater 2012 starb, war es an ihm, zu übernehmen. Die Werkstatt, in der er als Kind Vogelhäuschen baute, habe ihm stets ein Gefühl von Heimat vermittelt. Und die neue Schrift, wenngleich in moderner Typographie ausgeführt, sieht er als eine Hommage an die Geschichte.
Reibestein hofft, dass der Hinweis auf die „Buchhandlung Neubert“ gegenüber den Sieben Säulen erhalten bleibt
Am häufigsten wird Reibestein in kleineren Städten fündig. „Da verändert sich weniger.“ In Dessau-Roßlau muss man genauer suchen. In Roßlau weist eine Schrift aus den 20er Jahren auf einen Fotografen hin, gleich hinter dem Theater zerbröselt die „Bäckerei Veit“.
In der Reinickestraße am Schlachthof gibt es eine sorgfältig sanierte Fassade, auf der ausführlich für die Produkte einer längst nicht mehr existenten „Likörfabrik“ geworben wird. Und Reibestein hofft, dass der Hinweis auf die „Buchhandlung Neubert“ gegenüber den Sieben Säulen erhalten bleibt; das Gebäude wird gerade saniert.
Der Schriftzug wurde am Sanitätshaus aus einer Mörtelschicht herausgeschnitten
Gipslettern fertigten die Stuckateure in ihren Werkstätten. In Leinöl getränkt, waren sie gegen die Zumutungen des Wetters geschützt. Am Sanitätshaus nutzte Reibestein eine andere Technik. Der Schriftzug wurde aus einer Mörtelschicht herausgeschnitten. Die oberen Kanten sind angeschrägt, damit Regenwasser besser ablaufen kann. August sagt, das sei gute Arbeit, „nicht einfach dahingerotzt“.
Und er ist dankbar, dass Reibestein ihn vom Leuchtkastenplan abbrachte, nicht zuletzt mit dem Argument, „deine Kunden sind ohnehin nicht in der Dunkelheit unterwegs“. Jetzt, findet August, vermittele sich sein Qualitätsanspruch auch nach außen. (mz)
