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Streitgespräch zum Stadtjubiläum Streitgespräch zum Stadtjubiläum: "Es gibt Nachholbedarf" für Dessau-Roßlau

12.07.2017, 17:33
Mirko Kirschner (li.) und Hans-Joachim Mau in der Zerbster Straße.
Mirko Kirschner (li.) und Hans-Joachim Mau in der Zerbster Straße. Sebastian

Dessau-Roßlau - Am 1. Juli 2017 ist die Stadt Dessau-Roßlau zehn Jahre alt geworden. Die Feier aber ist ausgefallen. Der Streit um den Stadtnamen hat die Gräben zwischen Dessau und Roßlau vertieft.

Die MZ bringt Dessauer und Roßlauer an einen gemeinsamen Tisch, um miteinander zu reden. Pünktlich zum Stadtjubiläum hat Steffen Brachert Mirko Kirschner vom Wirtschafts- und Industrieclub Anhalt und Hans-Joachim Mau vom Wirtschaftskreis Roßlau getroffen.

Herr Mau, 2005 hat in Roßlau ein Bürgerentscheid zur Fusion stattgefunden. Eine knappe Mehrheit war für Dessau-Roßlau. Wie haben Sie damals gestimmt?
Mau: Ich war für den Zusammenschluss, trotz vieler Schelte. Ich habe geglaubt, dass beide Städte zusammen als kreisfreies Oberzentrum stärker sind.

Hat Roßlau davon profitiert?
Mau: Ich denke schon. Die Wasserburg, der Umbau des Goethegymnasiums, das E-Center. Ich weiß nicht, ob wir das hätten allein stemmen können. Es hat aber auch manches nicht geklappt - und das wird mit der Fusion verbunden. Dazu kommt: Im Zusammenwachsen sind wir stehen geblieben.

Kein Wunder. Schon in der ersten Stadtratssitzung im Juli 2007 hat es den Plan gegeben, den Stadtnamen zu ändern. Das ist wie Fremdgehen in der Hochzeitsnacht. Wie soll da Vertrauen entstehen?

Herr Kirschner, der Wirtschafts- und Industrieclub Anhalt fordert am vehementesten die Umbenennung der Stadt. Warum?
Kirschner: Die Fusion war damals, auch wenn ich das Wort nicht gern benutze, alternativlos. Dessau und Roßlau mussten eine Stadt bilden, um kreisfreies Oberzentrum zu bleiben.

Das sind wir geblieben. Das Fusionsziel ist also erreicht. Und bei der Namensdiskussion geht es nicht darum, die Städte wieder zu trennen. Wir wollen Dessau-Roßlau weiterentwickeln. Die Roßlauer Identität geht doch nicht verloren, wenn die Stadt anders heißt.

Änderung des Stadtnamens ist ein Blick in die Glaskugel

Warum bekommt man das nicht vermittelt?
Kirschner: Die Änderung des Stadtnamens ist natürlich ein Blick in die Glaskugel. Wir glauben, dass die Stadt davon profitiert, aber wir können natürlich nicht sagen, dass an dem und dem Tag eine Million Touristen pro Jahr in die Bauhausstadt kommen. Marketing hat auch immer ein Stück Ungewissheit, ob es funktioniert.

Sie bekommen nicht einmal den Wirtschaftskreis Roßlau überzeugt. Da sitzen Unternehmer, die davon auch profitieren würden.
Mau: Wenn ich eine Werkhalle baue und zehn Arbeitsplätze schaffe: Da werden Steuern gezahlt, da entsteht Kaufkraft. Und das sofort. Darauf sollten wir den Fokus legen. Wenn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stimmen, ist der Name ganz am Ende Nebensache.

Die Befürworter der Bauhausstadt versprechen sich von der Umbenennung genau das: Arbeitsplätze und Kaufkraft.
Kirschner: Es ist die Frage nach Henne und Ei. Braucht man erst den Slogan und entwickelt die Stadt dann oder umgedreht. Schauen Sie in die Lutherstadt Wittenberg. Die haben auf das richtige Pferd gesetzt.

Mau: Die haben aber auch das Glück, dass die letzten beiden Ministerpräsidenten aus Wittenberg kamen.

Rund um den Hafen Roßlau ist das einzige Industriegebiet der Stadt

Sie sind Unternehmer. Müssten wir nicht mehr über Ansiedlungen in Dessau-Roßlau, über die zu wenig gefüllten Gewerbegebiete reden?
Mau: Das will ich ja. In Roßlau rund um den Hafen ist das einzige Industriegebiet der Doppelstadt.

Da wird jetzt ein zweistelliger Millionenbetrag investiert.
Mau: Richtig. Aber wie viele Jahre haben wir darüber geredet? Wir brauchen in dieser Stadt einfach zu oft zu lange. Und: Es reicht nicht, als Wirtschaftsförderer einmal im Jahr zur Expo-Real nach München zu fahren und dann immer abends um 18 Uhr die Sachen zusammenzupacken. Die Stadt vermarktet sich da nicht gut genug.

Kirschner: Ich hoffe auf ein neues Gewerbegebiet an der A9. Wir brauchen kürzere Weg.

Mau: Das ist wichtig. Aber nicht das einzige Kriterium. Im Harz gibt es Gewerbegebiete, die sind viel weiter von der Autobahn weg als unser Flugplatz. Die entscheidende Frage ist: Was machen die anders? Fakt ist: Wir brauchen eine bessere Stimmung in der Stadt. Fragen Sie mal einen Unternehmer, ob er die eigene Stadt empfehlen würde. Da kriegen Sie Antworten, da erschrecken Sie.

Das ist doch eine Aufgabe für die Stadtmarketinggesellschaft. Wie macht die sich aus Sicht der Unternehmer?
Mau: Sie hatte eine lange Anlaufphase und wird jetzt langsam nach außen sichtbar. Fairerweise kann man ein vernünftiges Fazit erst nach zwei Jahren ziehen. Aber da geht vieles in die richtige Richtung, auch wenn am Ende klar sein muss. Gutes Marketing kostet Geld.

Kirschner:Wir haben da zwei sehr willige Geschäftsführer. Da passiert was in Sachen Marketing. Ergebnisse gibt es da eher mittel- und langfristig. Wie auch bei einem neuen Stadtnamen.

350 Euro pro Einwohner für die Kultur, aber nur fünf Euro für die Wirtschaft

War die Fusion aus Sicht der Wirtschaft ein Erfolg?
Mau: Bei allen guten, positiven Beispielen: Die Wirtschaftskraft von Dessau-Roßlau hat sich nicht so entwickelt, wie man sich das mit gebündelten Kräften erhofft und gewünscht hatte.

Vielleicht liegt das ja auch daran, dass wir als Stadt 350 Euro pro Einwohner für die Kultur ausgeben, aber nur fünf Euro für die Wirtschaft.

Herr Mau, 2005 waren Sie für die Fusion. Was muss passieren, dass Sie über einen Stadtnamen ohne Roßlau nachdenken?
Mau: Ich sage den Befürwortern immer, nehmt einen Stand und einen Schirm, stellt Euch in Roßlau auf den Markt, redet mit den Leuten, überzeugt sie. Wann ist das in letzten Jahren passiert?

Herr Kirschner, wann ist das passiert?
Kirschner: Wir waren so oft mit Stadträten im Gespräch, wir waren in den Fraktionen. Das, was wir als Unternehmer da leisten konnten, haben wir versucht.

Aber waren da die Dessauer nicht immer unter sich?
Mau (lacht):Ein Rodlebener ist auch immer dabei.

Redet man zu viel übereinander und zu wenig miteinander?
Mau: Es gibt da Nachholbedarf.

Herr Kirschner, Sie bleiben dabei: Die Stadt braucht einen neuen Namen?
Kirschner: Die Zukunft der Stadt ist mit dem Bauhaus verbunden. Das haben wir doch am Sonntag gesehen, als die Laubenganghäuser auch Welterbe wurden. Wir müssen da mehr draus machen. Es gibt keinen anderes übergeordnetes Bild.

(mz)

Der Wirtschafts- und Industrieclub Anhalt besteht seit über 20 Jahren und gilt als einflussreichster Unternehmerverband der Muldestadt. Zuletzt war er einer der treibenden Kräfte bei der Bewerbung der Stadt Dessau-Roßlau für die Landesgartenschau 2022.

Der Zuschlag ging am Ende nach Bad Dürrenberg. Vorsitzender des Präsidiums ist Mirko Kirschner (Heima Menü GmbH), als Vize-Präsidenten wurden Claudia Schwalenberg (NH Hotel) und Axel Sandner (Sandner Dachbau) gewählt.

Der Wirtschaftskreis Roßlau wurde 2003 gegründet und zählt etwa 70 Mitglieder. Das Ziel des Wirtschaftskreises ist die Bündelung der Wirtschaftskraft in der Stadt und Region Roßlau, sowie das Bestreben, gemeinsam Impulse für eine effektive Arbeit

zu setzen. Vorsitzender ist Hans-Joachim Mau, sein Stellvertreter ist Günther Gern.