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Die Ureinwohner Seit 50 Jahren: Fünf Erstbezieher leben noch heute im Dessauer Y-Haus in der Friedrichstraße

1971 gehörten sie zu den allerersten Mietern im Y-Haus. Was sich in 50 Jahren getan hat.

Von Thomas Steinberg 20.11.2021, 12:00
Lothar und Christel Bischoff, Manfred und Edda Birke sowie Friederike Panzner (vl.n.r.)  sind die Ureinwohner in der Friedrichstraße 17.
Lothar und Christel Bischoff, Manfred und Edda Birke sowie Friederike Panzner (vl.n.r.) sind die Ureinwohner in der Friedrichstraße 17. (Foto: Thomas Steinberg)

Dessau/MZ - Ureinwohner? So bezeichnet zu werden, gefällt ihnen. „Stimmt ja“, sagt Friederike Panzner, „wir sind die letzten Ureinwohner in diesem Haus.“

Sie sind ihrer fünf in der Friedrichstraße 17. Neben Friederike Panzner gehören Christel und Lothar Bischoff zu ihnen sowie Edda und Manfred Birke. Sie alle sind Erstbezieher dieses Y-Hauses, leben seit 1971 dort, mithin 50 Jahre. Ein halbes Jahrhundert in einem Mietshaus ist ein heutzutage vermutlich rares Ereignis, weshalb es vom Vermieter Blumensträuße und Urkunden gibt.

Eine Wohnung zu mieten war in der DDR mit einigen Hürden verbunden

Nun sitzen die fünf bei Bischoffs im Wohnzimmer und schwören allesamt: Niemals hätten sie an einen Umzug gedacht. Warum auch? „Sie leben hier zentral“, erklärt Friederike Panzner. „Bahnhof, Ärzte, Bücherei, Theater, Einkaufsmöglichkeiten - alles ist in der Nähe.“ Früher, also in den 70ern, gab es gegenüber noch Fleischer und Bäcker, erinnert sich Christel Bischoff. Um die Ecke stand das Haus des Handwerks mit Gaststätte und Veranstaltungssaal, das dem Landgericht weichen musste.

Eine Wohnung zu mieten war in der DDR mit einigen Hürden verbunden. Der knappe Wohnraum wurde ganz überwiegend vom Staat verwaltet, die größeren Betriebe verfügten über gewisse Kontingente. Man stellte jedenfalls, so hieß es offiziell, einen „Antrag auf Zuweisung einer Wohnung“.

Bischoffs und Birkes erhielten die Zuweisungen über ihre Betriebe, den Panzners musste die Kommunale Wohnungsverwaltung eine neue Bleibe anbieten, nachdem zum zweiten Mal ihre Bleibe abgerissen wurde.

Familie Panzer ist in eine Maisonette-Wohnung im Y-Haus gezogen

Das Paar entschied sich für die Luxusversion unter den Y-Haus-Wohnungen, eine Maisonette-Wohnung. „Die waren gar nicht so begehrt.“ Wer sich trotzdem für eine solche Wohnung entschied, konnte im Laufe der Zeit wie die Panzners einen Gummibaum fünf Meter in die Höhe wachsen lassen, da es zwischen beiden Etagen eine Öffnung gab.

Wenig verwunderlich, hat sich in den Jahrzehnten einiges in den Y-Häusern und um sie herum verändert. Verschwunden sind schon lange die - wie soll man es nennen, vielleicht Postzustellanlagen? Räume jedenfalls, die nur von Postboten betreten werden konnten, um die nach hinten offenen Briefkästen zu beschicken.

Die heute ungenutzte, reichlich lädierte Pergola hinter den Y-Häusern diente vor Jahrzehnten als Ort für kleinere Festivitäten

Als wenig tauglich erwiesen sich auch die Müllschlucker in den Kernwohnungen - man roch, dass manche Mieter reinwarfen, was sie loszuwerden gedachten.

Die heute ungenutzte, reichlich lädierte Pergola hinter den Y-Häusern diente vor Jahrzehnten als Ort für kleinere Festivitäten, Ausstellungen von Kaninchenzüchtern oder Kleingärtnern. Die Pergola überdachte Paketschließfächer. Zu öffnen mittels eines im Briefkasten eingeworfenen Schlüssels. Vom „Spiegel“ 1991 als „unfreundlicher Brauch“ und „blecherne Zustelldeponie“ gebrandmarkt, feiern die nun digital aufgerüstet als „Packstationen“ ihre Wiederkehr.

Y-Häuser
Y-Häuser
(Foto: Thomas Ruttke)

Wer wohnen blieb, musste umziehen und den unvermeidlichen Baustellenlärm ertragen

Lothar und Christel Bischoff, Manfred und Edda Birke, Friederike Panzner, die Ureinwohner des Y-Hauses, wohnen alle nicht mehr in den Wohnungen, in die sie 1971 zogen. Was allemal besser ist, als der zeitweise drohende Auszug.

Christel Bischoff erfuhr von der drohenden Kündigung durch einen Telefonanruf. „Ich wurde gefragt, ob ich sitzen würde.“ Sie gehört nicht zu den Menschen, die leicht aus der Bahn zu werfen sind. „Ich“, sagt sie heute und lacht, „hätte mich hier angekettet“. Nach Mieterprotesten und dem Verkauf der Häuser an einen Dessauer Unternehmer hatten sich solche Aktionen erübrigt.

Allerdings begann für die Mieter eine strapaziöse Zeit, denn die Friedrichstraße 17 wurde komplett saniert. Wer wohnen blieb, musste umziehen und den unvermeidlichen Baustellenlärm ertragen. Aber auch das war für sie kein Grund, dem Y-Haus den Rücken zu kehren. Denn, so formuliert es Edda Birke: „Besser kann man nicht wohnen.“