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Mobilität Seit 20 Jahren sind in Dessau Niederflurstraßenbahnen im Einsatz - mit Erfolg

Vor zwei Jahrzehnten rollte die erste Niederflurstraßenbahn durch Dessau. Was für Fahrgäste angenehm ist, stellte die Konstrukteure vor Herausforderungen.

Von Christoph Pohl 08.01.2022, 12:00
Seit 20 Jahren rollen die Niederflurwagen durch Dessau.
Seit 20 Jahren rollen die Niederflurwagen durch Dessau. (Foto: Thomas Ruttke)

Dessau/MZ - Die Straßenbahn in Dessau war schon immer ein kleinerer Betrieb, aber mit relativ stabiler Existenz - und ist das bis heute. Die Eröffnung im Jahre 1894 hatte eine Besonderheit: Zunächst wurde der Betrieb mit Gasmotorfahrzeugen durchgeführt. Sicher sind die technischen Möglichkeiten heute andere, aber es wäre schon einmal interessant: Was würde ein Straßenbahnfahrt mit Gasbetrieb speziell in diesem Winter kosten?

Nach Unfällen wechselte man die Betriebsart schließlich im Jahr 1901 in die elektrische mit Oberleitung, also vor rund 120 Jahren. Im 100. Jahr der Umstellung wurde die moderne Straßenbahnbauart vorgestellt, die seit nunmehr 20 Jahren in der Muldestadt verkehrt: Der erste Niederflurtriebwagen NGT6DE wurde am 21. Dezember 2001 angeliefert.

Damit begann nicht nur ein neues Straßenbahnzeitalter in Dessau, gleichzeitig erhielt man nach rund 40 Jahren auch wieder Neufahrzeuge ab Werk.

Ganz offiziell präsentiert worden war die neue Bauart am 19. April 2002

Vorausgegangen war Anfang 1999 der Test eines neuen achtachsigen Magdeburger Niederflurwagens auf den Dessauer Straßenbahngleisen. Das positive Ergebnis führte zu der Überlegung, neue Bahnen für Dessau zusammen mit Magdeburg zu bestellen. Stattdessen kam es aber dann zum Lieferauftrag über sechsachsige Trams zusammen mit den Städten Halle und Plauen im Vogtland.

Die weitere Auslieferung der Triebwagen erfolgte ab dem 19. Februar bis Juli 2002 etwa aller zwei Wochen. Ganz offiziell präsentiert worden war die neue Bauart am 19. April 2002. Sie wurden im Bombardier-Werk Bautzen gefertigt, die Front- und Heckteile steuerte die FTD Fahrzeugtechnik Dessau bei. Die elektrische Ausrüstung kam aus Krefeld dazu. Insgesamt sind es zehn Einrichtungs-Fahrzeuge, sie erhielten die Betriebsnummern 301 bis 310. Der Niederfluranteil betrug etwa 70 Prozent.

Mit 21 Metern sind die Dessauer - zusammen mit den bauartgleichen in Halle und Plauen - die kürzesten Flexity Classics

Die neuen Dessauer Wagen gehören zur großen Straßenbahnfamilie „Flexity Classic“ von DWA/ Bombardier/Alstom in Bautzen. Deren einzelne Vertreter sind unterschiedlich lang und breit, aber immer mehrgliedrige klassische Drehgestellwagen. Das sorgt für einen guten Fahrkomfort, der viel höher ist, als bei Bahnen mit starren Achsen. Details im Fahrzeugaufbau und Design können variieren. Neben Deutschland verkehren sie auch in Australien, Polen und Schweden. Gegenwärtig stehen Fahrzeuge für Dresden und Duisburg in den Auftragsbüchern des Herstellers.

Mit 21 Metern sind die Dessauer - zusammen mit den bauartgleichen in Halle und Plauen - die kürzesten Flexity Classics. Die mit 45 Metern längsten verkehren in Dresden und Leipzig.

Grundsätzlich müssen bei der Entwicklung von Niederflurstraßenbahnen einige Schwierigkeiten überwunden werden

Grundsätzlich müssen bei der Entwicklung von Niederflurstraßenbahnen einige Schwierigkeiten überwunden werden. Die Konstruktion unterscheidet sich zum Teil deutlich von den alten hochflurigen Fahrzeugen. Durch das geringe Niveau des Fußbodens ist es schwer, das Fahrwerk mit Antrieb darunter unterzubringen.

Was dann an Fahrzeugsteuerung nicht noch unter den Sitzen angeordnet werden kann, wird in großen Containern auf das Fahrzeugdach ausgelagert. Das ist aber für den Fahrzeugschwerpunkt ungünstig, denn der sollte möglichst tief liegen. Bei den älteren Bauarten bis hin zu Gotha und DUEWAG-Wagen lagen Fahrwerk und Steuerung noch unproblematisch komplett unter dem Fahrzeugboden.

Die aktuellen Straßenbahnen in Dessau waren schon immer technisch ausgereift und solide

Die idealerweise angenommene möglichst hundertprozentige Niederflurigkeit von Straßenbahnen ist technisch eigentlich nicht zu erreichen. In der jüngeren Straßenbahngeschichte gibt es so eine ganze Reihe von „halbgaren“ Antriebskonzepten mit einzeln oder paarweise angetriebenen Losrädern ohne durchgehende Achsverbindung, bis unter das Dach gerissene Fahrzeugkörper oder Fahrwerkskonstruktionen, die für das Rückwärtsfahren nicht taugen. Auch weniger erfahrene Firmen bieten die Straßenbahnentwicklung an - es gilt dann das „Bananen-Prinzip“: Das Produkt reift beim Verbraucher. Schwierig wird es, wenn das billigste Angebot nicht auch das beste ist. Genau so experimentell, wie manchmal die Technik ist, kann auch die Formgestaltung sein: Dann fragt man sich, ob auch auf dem Mars Straßenbahnen fahren.

Von alldem ist man in Dessau eindeutig verschont geblieben: Die Straßenbahnen aus Bautzen waren schon immer technisch ausgereift und solide, die Formgestaltung ansprechend und bodenständig. So tun auch die Dessauer Trams unauffällig und zuverlässig ihren Dienst.

„Die Niederflurstraßenbahnen haben den Fahrkomfort für unsere Fahrgäste deutlich verbessert“

„Die Niederflurstraßenbahnen haben den Fahrkomfort für unsere Fahrgäste deutlich verbessert“, bestätigt auch Torsten Ceglarek, Geschäftsführer der Dessauer Verkehrs GmbH. „Ältere Fahrgäste oder Eltern mit Kinderwagen wissen die niedrigen Einstiege zu schätzen. Wir hatten uns bei der Anschaffung bewusst für die Drehgestelltechnik entschieden und sind heute nach Laufleistung von einer Million Kilometer je Triebwagen auch sehr zufrieden“, sagt der Verkehrs-Chef.

Die ruhige Laufweise auf der einen Seite und der geringere Radsatzverschleiß auf der anderen Seite seien heute wichtige Themen im Straßenbahnbetrieb. Der elektronisch gesteuerte Drehstromantrieb gelte als emissionsfreie Antriebsform und passe voll in die aktuellen Zielvorgaben für ein nachhaltiges ÖPNV-Angebot.