Schweiz statt Hartz IV Schweiz statt Hartz IV: Denise Böhm schafft Neustart ohne Jobcenter

Burgdorf/Dessau - Im Sommer ausgewandert zu sein, Denise Böhm bereut das nicht. „Ich fühle mich wie eine Heidi“, sagt die Dessauerin. Hinter sich hat sie die Schweizer Alpen, vor sich das glückliche Gesicht ihrer dreijährigen Tochter Mara. Alles ist ein bisschen wie im Film. Doch Tatsache ist, Hartz IV war gestern. „Ohne Mühe“, erzählt sie, „geht das aber alles nicht.“
In Burgdorf im Kanton Bern hat die 31-Jährige Arbeit gefunden
Ende Juni hatte die 31-Jährige in der MZ Schlagzeilen gemacht. In Burgdorf im Kanton Bern hatte sie Arbeit gefunden, doch Angst, ihren Traum vom Auswandern begraben zu müssen.
Denn das Jobcenter, das der Industriekletterin zuvor geholfen hatte, zur Elektrikerin umzuschulen und auch einen Arbeitgeber zu finden, stellte nicht die von Denise Böhm erhoffte finanzielle Unterstützung für den Neuanfang zur Verfügung.
In der Schweiz hat Denise Böhm nicht auf alle Leistungen des Jobcenters Anspruch
Der Haken an der Sache: Zwar kann das Jobcenter im Rahmen des Sozialgesetzbuches II verschiedene Leistungen gewähren, damit der Einstieg ins Berufsleben klappt. Dazu zählen das Einstiegsgeld, die erste Fahrt zur Arbeitsaufnahme beim Unternehmen, Trennungskostenbeihilfe, die Übernahme von Umzugskosten oder bei bestimmten Berufen auch eine Ausstattung, wie bei Köchen, die Messer brauchen.
Aber einige der Leistungen werden nur für Bezieher im Bundesgebiet gewährt. Nicht aber für Auswanderer, erklärte Jobcentersprecherin Anja Pannier. Zwar bekam Denise Böhm Umzugskostenbeihilfe und für drei Monate Trennungsgeld. Aber ein Darlehen und Einstiegsgeld nicht.
Denise Böhm wusste nicht, wie sie den ersten Monat über die Runden kommen sollte
Denise Böhm war schockiert. Sie wusste nicht, wie sie den ersten Monat über die Runden bringen sollte, bevor der erste Lohn auf dem Konto ist. „Wovon soll ich den Kindergartenplatz bezahlen? Wovon soll ich etwas zu essen kaufen?“, fragte sie.
Noch heute kommt es ihr vor wie ein kleines Wunder, dass dennoch alles klappte. Das Dessauer Pfarrer-Ehepaar Strümpfel, das von ihren Sorgen in der Mitteldeutschen Zeitung las, gewährte der alleinerziehenden Mutter ein zinsloses Darlehen. „Ich bin beiden zu großem Dank verpflichtet“, sagt Böhm. Jetzt fange sie auch an, das Geld zurückzuzahlen.
Denise Böhm bekam von vielen Seiten Unterstützung
Die finanziellen Sorgen waren der Hartz-IV-Empfängerin vor dem Umzug damit genommen. Doch sorgenfrei kam sie nicht in Burgdorf an. Denn ihr Vermieter wollte plötzlich die Kaution von 5 000 Franken bar auf die Hand und nicht, wie zuvor vereinbart, in kleinen Raten.
„Das konnte ich nicht leisten“, sagt sie. Was tun? Die Dessauerin rief alle Vermieter an, die sie im Internet finden konnte, und stieß auf Benno Tresh. „Gott sei Dank konnten wir an eine andere Adresse ziehen“, freut sie sich. Die Wohnung sei sogar schöner als die andere.
Als Betriebsmechanikerin arbeitet sie alleine unter Männern
Glück, stellt sie fest, hatte sie auch mit ihrem Arbeitgeber. „Doch der Anfang war schwer“, gibt sie zu. Denn als einzige Frau muss sie sich in einem Männerberuf beweisen. Als Betriebselektrikerin hatte sie sich beworben - als Betriebsmechanikerin wurde sie eingestellt.
Eine Rolle wird dabei sicherlich auch die Erstausbildung der Dessauerin gespielt haben: Fachkraft für Wasserversorgungstechnik. Doch manche Kenntnisse musste sie erst auffrischen, manches erst noch lernen. „Doch ich habe einen guten Chef, der hinter mir steht.“ Ihre Probezeit hat sie erfolgreich gemeistert, erzählt sie glücklich. „Das ist der Job, den ich wollte.“
Denise Böhm: „Alle sind hier sehr freundlich zu uns“
Dass das geklappt habe, dass sie heute viel weniger Sorgen habe, spüre auch Mara. Überhaupt: „Alle sind hier sehr freundlich zu uns“, erzählt Denise Böhm. „Wir fühlen uns hier sehr wohl.“ Alle hätten ein offenes Ohr für Sorgen. Der Kindergarten mache erst 7 Uhr auf, 7 Uhr auch fange sie mit arbeiten an. Da nicht nur sie dieses Problem hatte, wird jetzt früher für die Eltern geöffnet.
Oder: Für Rechnungen, die sie nicht sofort begleichen konnte, wie Kita-Gebühren und Krankenkasse, konnte sie Ratenzahlungen vereinbaren. Und dennoch bleibt noch Geld über „für einen kleinen Urlaub am Wochenende“. So nennt sie die Ausflüge mit Mara in die Berge zum Klettern oder zur Schaukäserei. „Das geht alles, das ist toll.“
Zu Weihnachten kommt Denise Böhm mit Mara nach Dessau
Ohne Hilfe aber hätte sie es nicht geschafft, gibt Denise Böhm zu. Da sind neben Strümpfels ihr Vater Gerd Böhm und ihre Oma Ingeborg Geißler, die ihr stets zur Seite standen. Und in der Schweiz hilft ihr ihr guter Freund Thommy Rösti. „Er ist wie ein Bruder für mich“, sagt sie. Er passt beispielsweise auf Mara auf, wenn sie Bereitschaftsdienst in der Firma hat. Kennengelernt hatte sie ihn vor ein paar Jahren, als sie schon einmal in der Schweiz gearbeitet hatte.
„Mara und ich sind glücklich“, sagt Denise Böhm. Und was ist mit Heimweh? Ja, sagt sie, sie vermisse ihre Familie in Dessau. Sie freue sich auf Weihnachten, wenn sie das erste Mal zu Besuch komme. Aber auszuwandern, daran lässt sie keinen Zweifel, „hat sich für uns gelohnt“. (mz)
