Schausteller Schausteller: Mit Familie quer durchs ganze Land
Bernburg/MZ. - Nein, auf Eberhard Sperlich liegt kein Fluch. Aber obwohl in niemand "verhext" hat, muss der Beinahe-Rentner rastlos durch die Lande streifen.
"Spaß macht das schon lange nicht mehr", hallt es vom Wohnwagen her. Der Platzchef ist am Sonntagmorgen auf der Töpferwiese in Bernburg zeitig aktiv. Manch besser gestellte Altersgenosse träumt um diese Stunde von seiner schönsten Zeit im Jahr. Die meisten haben sicherlich in diesem Alter ihr Schäflein im Trockenen.
Doch bei dem Jessener ist es, obwohl er in seinem Leben nie im Urlaub war, noch nicht so weit. Nicht, dass der 60-Jährige sein Leben lang auf der faulen Haut gelegen hätte. In Rente gehen kann er, selbst wenn er wollte, nicht.
Zum einem fehlen ein paar Jahre Berufsleben, sagt die Rentenkasse. Zum anderen läuft das Fahrgeschäft seit längerem nicht besonders. Für ihn scheint es manchmal, dass er vor kurzem in die falsche Zeit geraten ist.
Dabei hat der Artist, seit er denken kann, gearbeitet. Als Kind einer Artistenfamilie ist er in einem Wohnwagen in der DDR zu Welt gekommen. Das war sein Schicksal. Die Vergangenheit seiner Familie wurde seine Berufung.
Als Clown, Feuerschlucker, Dompteur und Artist begeisterte der Familienvater bis Anfang der siebziger Jahre sein Publikum. Das hinterließ Spuren. Die Arbeit mit den Raubtieren überstand der dreifache Vater nicht unbeschadet. Vom Affen gebissen, mal von der Raubkatze oder vom Bären angefallen, musste der passionierte Angler 1972 durch die lädierte Gesundheit das Handtuch schmeißen.
Aus Liebe an diesem rastlosen Leben wurde Eberhard Sperlich Schausteller. Der Kartenfreund kann heute noch ruhig schlafen, im Gegensatz zu manch anderen Schaustellerkollegen. Dem Reiz des schnellen Geldes per Kredit widerstand das Multitalent seit der Wende.
Doch Freude will bei ihm längst nicht mehr aufkommen.
Denn: "Das Geld sitzt bei den Leuten fest", erzählt der 60-Jährige. Selbst 265 Tage im Jahr auf Festplätzen präsent zu sein nutzt nicht viel. Früher, meint er, war das anders.
Vor der Wende - ganz klar - kamen die Leute auf den Rummel, um sich zu amüsieren. Heute sind sie übersättigt und seit dem neuem Geld verunsichert. "Ich werfe mal, weil ich das haben will", sagt heute niemand mehr.
Im Überfluss lockt eben nichts mehr, stellt der Löwenbändiger fest. Da muss er schon froh sein, wenigstens die Betriebskosten mit den drei Tagen Standzeit auf der Töpferwiese einzuspielen.
Früher, erzählt der Ex-Dompteur, waren auch die Behörden kulanter. Wenn es mal regnete, dann nahmen die nicht die volle Standgebühr. Wie das Wetter sei und ob die Kassen leer sind, das interessiere derzeit keinen mehr. Auch fehlen die Arbeitskräfte, denn wer will schon am Sonntag früh um sieben raus, sagt er.
Mit dem Nachwuchs sieht es nicht besser aus. Janine, die Erstklässlerin, wohnt beim Großpapa gleich um die Ecke. Sie sitzt, wie fast jeden en, mit am Tisch im Wohnwagen der Sperlichs. Sie will, das ist der Sechsjährigen schon jetzt klar, auf keinen Fall Schaustellerin werden. Der dreifache Familienvater kann seine Enkelin verstehen.
So muss er rastlos mit Kettenkarussell, Kindereisenbahn und Autoscooter im Gepäck weiter. Ob er will oder nicht: noch fünf Jahre geht es bei Wind und Wetter durch Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg. Dann endlich soll es Rente geben, ob die für ein Auskommen reicht, ist eine andere Frage.