Raumfahrt Satellit "Sentinel - 1B"": Dessauer schickt Sojus-Rakete mit ins All

Dessau/Noordwijk - Am Abend sah es so aus, als ob es endlich funktioniert. Auf dem Weltraumbahnhof Kourou in Südamerika ist die Aufregung im Kontrollraum spürbar.
Mitarbeiter sitzen hinter Bildschirmen, blättern in Unterlagen, telefonieren, sprechen durcheinander. Im Hintergrund läuft der Countdown. Diesmal, nach drei Verschiebungen, zählt er bis Null herunter: Die Sojus-Rakete startet. „Das war unglaublich. Je näher der Start rückte, desto extremer wurde bei allen die Anspannung“, erzählt Christian Bungeroth. „Und man ist mittendrin. Diese Bilder vergisst man nie.“
Der gebürtige Bernburger, der in Dessau aufwuchs und zur Schule ging, arbeitet bei der europäischen Raumfahrtorganisation ESA (European Space Agency) und war zum ersten Mal bei einem Raketenstart dabei. Am 25. April hob eine Sojus ins All ab. An Bord: der 2,3 Tonnen schwere Erdbeobachtungssatellit „Sentinel - 1B“, der „Microscope“, mit dem zu Einsteins Relativitätstheorie experimentiert wird - und drei Kleinstsatelliten.
550 Kilometer über der Erde
Um genau die kümmert sich derzeit der 31-Jährige Bungeroth von Holland aus mit Experten der ESA. Die drei Nanosatelliten haben die Form von Würfeln - weswegen sie CubeSats genannt werden - und wiegen weniger als ein Kilogramm. Studenten hatten sie an Unis in Belgien, Italien sowie Dänemark konstruiert. „Sie sind für Tests und Experimente im Weltraum entwickelt worden. Meine Aufgabe ist es, die Studenten mit Wissen zu unterstützen und bei der Datenauswertung zu helfen“, so Bungeroth, Maschinenbauingenieur für Luft- und Raumfahrtsysteme. Das ESA-Programm unterstützt Universitäten bei Projekten und der Ausbildung künftiger Raumfahrtingenieure. Ein Jahr wird die Mission dauern. Derzeit fliegen die kleinen Satelliten in rund 550 Kilometer Höhe über der Erde und schicken Daten an die Bodenstationen der Unis.
Der „Sentinel“ scannt die Erde pausenlos
Der „Sentinel - 1B“ (englisch für „Wächter“) gehört zum ehrgeizigen europäischen Copernicus-Programm. Damit will die EU einen umfassenden Überblick über den Zustand der Erde bekommen und schickt dafür gleich eine ganze Flotte von Satelliten ins All. Bis 2021 sollen sie jeden Winkel der Welt im Blick haben. So liefert der jüngst gestartete Satellit genaueste Bilder von Land- sowie Meeresoberflächen. Er scannt die Erde pausenlos bei Tag und Nacht, auch durch Wolken hindurch. Gebraucht werden diese Informationen beispielsweise bei Notfällen und Naturkatastrophen wie Überschwemmungen und Erdbeben.
„Die Sojus hatte quasi auf der Rückbank noch Platz. Und so konnten die drei kleinen Satelliten mitstarten“, erklärt Bungeroth. Sie haben in ihrem Container die Vibrationen des Starts überstanden und auch den Schub aus dieser Box ins All. Einer der Satelliten fängt die Signale von Transportschiffen auf dem Ozean ein, mit dem anderen können Amateurfunker auf der ganzen Welt kommunizieren. Und der dritte ist mit einem Prototypen ausgestattet: Eine neue Sensor-Technik reguliert die Lage von Satelliten.
Sein Beruf ist ohne Grenzen
Es sind aufregende Monate für den 31-Jährigen. Dass er überhaupt einmal an einem Raketen-Startplatz steht, war vor ein paar Jahren noch gar nicht so klar. 2005 hatte er sein Abitur am Dessauer Philanthropinum abgelegt. Und überlegte hin und her: Musik studieren und Jazzpianist werden oder doch Maschinenbau? Bungeroth spielt Klavier und Schlagzeug, seit kurzem übt er auch Bass-Gitarre. „Ich komme aus einer musikalischen Familie. Musik und Musik machen ist für mich Teil des täglichen Lebens.“
Die Wahl fiel 2006 letztlich auf Maschinenbau an der TU Dresden, zwei Jahre später spezialisierte er sich auf Luft- und Raumfahrt. „Ich bin schon immer technikaffin gewesen. Vielleicht hat mir im Nachhinein die antrainierte Disziplin aus der strengen Klavierschule geholfen, um auch beim Lernen für die Prüfungen dranzubleiben.“ Acht Jahre hat er studiert, auch in Schottland und Frankreich. Nach dem Studium kam Bungeroth zur ESA im holländischen Noordwijk. Es ist eine Trainee-Stelle, mit der Absolventen in die Raumfahrtindustrie einsteigen. Seine Arbeit und Wohngemeinschaft ist für Bungeroth auch ein Beispiel für ein zusammenwachsendes Europa. „Es ist eine große Internationalität, in der man doch wie eine kleine Familie ist. Ich teile mir mein Büro mit einem Spanier, einer Polin und einem Italiener - in meiner WG wohnen ein Kanadier, ein Franzose und ein weiterer Deutscher.“ Er fühlt sich wohl, auch wenn das Wetter in Holland besser sein könnte.
Sein Beruf ist einer ohne Grenzen. Die Reise zum Weltraumbahnhof in Südamerika war da etwas Besonderes. Dreimal wurde der Start verschoben, erst gab es zu heftige Winde, dann technische Probleme. „Aber als ich kurz nach dem Start die Rakete wie einen aufsteigenden grellen Stern sah, war alles gut. Es ist großartig, bei so etwas dabei sein zu können.“
Fasziniert durch Technik
Die unendlichen Weiten des Weltraums an sich beeindrucken ihn weniger. Ihn fasziniert die Technik. „Mich begeistert, dass man Satelliten baut, die von der Erde aus in den Orbit geschossen werden, wo sie jahrelang mit tausenden Metern pro Sekunde ihre Bahnen ziehen und präzise arbeiten“, sagt Bungeroth. „Und dabei die Menschen täglich mit Daten versorgen - für ein Telefonat, den Wetterbericht, die Sportübertragung oder GPS.“ Seine Stelle endet diesen Herbst. Für die Zukunft ist der 31-Jährige offen. „Ich kann mir vorstellen, auch in einem anderen Land zu arbeiten“, sagt Bungeroth. Er spricht englisch, französisch, holländisch und spanisch. „Die ideale Variante wäre eine Einstellung ab 2017, vielleicht in Frankreich oder Spanien.“
Der Job fordert, aber Bungeroth will auch gefordert werden - und muss dafür Kompromisse eingehen. Für seine Musik hätte er gern mehr Zeit, eine eigene Familie ist vorerst auch nicht drin. „Im Moment könnte ich schnell auch woanders wohnen. Da ist es schwierig mit einer Familie. Aber ein sesshafteres Leben hat später auch noch Zeit. Bis dahin bin ich auf Entdeckungstour.“ (mz)

