1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Dessau-Roßlau
  6. >
  7. Rückblick auf ZDF-Doku zum Fall Yangjie Li: Rückblick auf ZDF-Doku zum Fall Yangjie Li: "Die Eltern sind durch die Hölle gegangen"

Rückblick auf ZDF-Doku zum Fall Yangjie Li Rückblick auf ZDF-Doku zum Fall Yangjie Li: "Die Eltern sind durch die Hölle gegangen"

Von Lisa Garn 20.02.2018, 19:58
Die Dokumentation ist am Dienstagabend ausgestrahlt worden.
Die Dokumentation ist am Dienstagabend ausgestrahlt worden. Screenshot

Es ist fast das Schlussbild, das Yangjie Li bei einem Ausflug im Sommer zeigt, die Haare zum Zopf gebunden, sie lächelt glücklich in die Kamera. Dazu erklingt ein trauriges Lied zu Gitarrenklängen: Es ist ein Abschiedslied, das die junge Frau 2015 vor dem Abflug aus China für ihre Eltern singt. Zart und voller Gefühl.

Die Stimme liegt über den letzten Bildern der beeindruckenden Dokumentation von Carla Röthig und Sven Ihden. Wer diese sieht, für den sind plötzlich diese Monate rund um diesen grausamen Mord wieder voll präsent.

Es sind keine neuen Erkenntnisse, die die ZDF-Doku am Dienstagabend gezeigt hat. Der Film widmet sich dem Fall aber in seiner großen Dichte und in einer chronologischen Rekonstruktion. Vom Verschwinden der 25-Jährigen am 11. Mai 2016, als Yangjie Li von einer Joggingrunde nicht mehr nach Hause zurückkehrt.

Gerichtsprozess gibt Einblicke in eine abnorme Welt voller Gewalt, Erniedrigung und Gefühllosigkeit

Über die Großfahndung der Polizei, die Verhaftung des tatverdächtigen Paares am 23. Mai. Bis zum Prozessbeginn und der Verurteilung am 4. August 2017 vor dem Dessauer Landgericht. Sebastian F., Sohn einer Polizistin und Stiefsohn des Dessauer Polizeichefs, bekam lebenslänglich bei besonderer Schwere der Schuld. Seine damalige Freundin Xenia I. erhielt fünfeinhalb Jahre Jugendstrafe wegen sexueller Nötigung. Alle Verfahrensbeteiligten haben Revision eingelegt.

Der Fall Yangjie Li war einer, bei dem immer neue Details ans Licht kamen, in dem der Gerichtsprozess Einblicke in eine abnorme Welt voller Gewalt, Erniedrigung und Gefühllosigkeit gab, die noch heute fassungslos macht. Die Doku zeigt das noch einmal besonders deutlich. Experten, Journalisten, Freunde und Dokumente beschreiben den Fall, ordnen ihn ein, greifen die Merkwürdigkeiten auf.

Der Kriminologe Axel Petermann analysiert in Dessau den Tatort, Nebenklage-Anwalt Sven Peitzner spricht über das Verhalten der Eltern des Haupttäters, aber auch über die Eltern von Yangjie Li. Die emotionale Betroffenheit ist bei vielen Gesprächspartnern der Autoren greifbar. Wer diese Tage miterlebt hat, weiß, wie schwer sich damals Trauer, Verzweiflung und auch Furcht über die ganze Stadt Dessau gelegt hatten.

Ihre Hilfsbereitschaft wird Yangjie Li zum Verhängnis

„Es war das blanke Entsetzen“, erinnert sich der Dessau-Roßlauer Oberbürgermeister Peter Kuras in dem ZDF-Interview. „Wir denken immer, wir leben in einer Zivilgesellschaft und einer Wissensgesellschaft. In solchen Fällen befallen einen Zweifel.“

Yili Lu, sie betreute als Koordinatorin an der Hochschule Anhalt Yangjie Li seit deren Ankunft in Dessau, und ihr Mann, Hochschuldozent Rudolf Lückmann, zeichnen in der Doku ein sehr persönliches und liebevolles Bild von einer lebensfrohen, talentierten jungen Frau. „Sie war unglaublich kommunikativ, sie hat gerne gesprochen“, sagt Lückmann. Das Traumhaus für die Eltern hatte sie schon geplant. Yangjie Li stand im Jahr 2016 kurz vor ihrem Master-Abschluss für ihr Architektur-Studium.

Doch ihre Hilfsbereitschaft wird ihr zum Verhängnis: Am Abend des 11. Mai wird die Chinesin in der Johannisstraße von Xenia I. angesprochen und ins Haus gelockt. Am 13. Mai wird die junge Chinesin unter einer Konifere am Hinterhaus gefunden - vergewaltigt und ermordet.

Es bleibt die Frage, was gewesen wäre, wenn Yangjie Li die Einladung von Xenia I. einfach abgelehnt hätte

Einer Videosequenz aus dem Antiquitätengeschäft kommt bei der Aufklärung die entscheidende Bedeutung zu: Darauf ist zu sehen, wie Xenia I. die junge Chinesin anspricht. Es sind Bilder, die sich nie wieder aus dem Gedächtnis löschen lassen. „Das hat sich extrem eingebrannt, dieser letzte Moment“, sagt MDR-Journalistin Isabell Hartung in dem Film. Und es bleibt die Frage, was gewesen wäre, wenn Yangjie Li einfach abgelehnt hätte.

Der Dokumentarfilm will auch Ermittlungspannen der Polizei beleuchten. Als die Tätersuche begann, habe die Polizei zunächst auf eine falsche These gesetzt, meint der Kriminologe Petermann: Dass der Tatort in weiterer Entfernung liegen soll. Die entscheidenden Videoaufnahmen aus dem Antiquitätengeschäft wurden zunächst gar nicht gesichert und erst später ausgewertet.

Übersehen wurde eine Blutspur am Gerüst des Hinterhauses. Eine weitere Frage aus der Doku: Was wusste die Mutter von Sebastian F. wann genau? Kurz nach dem Mord haben die beiden bis zu zehn Mal am Tag telefoniert, bis zur Verhaftung über 40 Mal. „Hat sie keinen Verdacht geschöpft, wenn hinter dem Wohnhaus eine Leiche gefunden wird?“, fragt Journalistin Isabell Hartung in der Doku erneut.

„Es gibt keine Zeit, die Wunden heilt, wenn die Tochter vergewaltigt und ermordet worden ist“

Gerechtigkeit in diesem furchtbaren Mord wird es nie geben – auch wenn ein Urteil gesprochen ist. Das machen die 40 Minuten noch einmal deutlich. „Es gibt keine Zeit, die Wunden heilt, wenn die Tochter vergewaltigt und ermordet worden ist“, sagt Anwalt Peitzner. Verändert hat diese Zeit wohl alle, die sich lange mit dem Fall beschäftigt haben.

Hochschulprofessor Rudolf Lückmann bringt es am Ende aber auf den wichtigsten Punkt: „Wir sind am Rand der Hölle entlanggegangen, das kann man aushalten. Aber die Eltern sind durch die Hölle gegangen.“ (mz)

Der Film Tatort Dessau: Der Fall Yangjie Li steht noch bis zum 27. Februar 2018 zum Abruf in der ZDF-Mediathek bereit.

Auf dem Marktplatz wurde an Yangjie Li erinnert.
Auf dem Marktplatz wurde an Yangjie Li erinnert.
ZDF/Ting Ting Wu