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Restaurierter Hanomag-Stromlinienwagen Restaurierter Hanomag-Stromlinienwagen: Darum wird die A9 für eine Legende gesperrt

Von Julius Lukas 10.05.2019, 10:00
1939 fuhr der Hanomag-Diesel auf der Autobahn bei Dessau mehrere Geschwindigkeitsrekorde. Hobby-Mechaniker Hans-Dieter Görg und sein Team bauten den legendären Wagen in jahrelanger  Detailarbeit wieder zusammen.
1939 fuhr der Hanomag-Diesel auf der Autobahn bei Dessau mehrere Geschwindigkeitsrekorde. Hobby-Mechaniker Hans-Dieter Görg und sein Team bauten den legendären Wagen in jahrelanger  Detailarbeit wieder zusammen. Andreas Stedtler

Dessau-Roßlau - Eigentlich lag der Weltrekord-Diesel aus den legendären Hanomag-Werken schon im Müll. 1984 war das. Damals studierte Horst-Dieter Görg in Hannover Betriebs- und Volkswirtschaftslehre. Wenn die Vorlesungen in der niedersächsischen Landeshauptstadt ihn langweilten, streifte er am nahe gelegenen Firmensitz der Hannoverschen Maschinenbau AG, kurz Hanomag, vorbei. „Und die war 1984 mal wieder Konkurs gegangen“, erzählt Görg.

Der heute 60-Jährige war schon damals ein Auto-Narr. Sein erster Oldtimer war der Mini-Lastwagen Hanomag Kurier. Deswegen schmerzte ihn auch, wie nach der Insolvenz das Großreinemachen begann. Viele Unterlagen landeten in den Containern vor der Zentrale. Görg wollte retten, was davon noch zu retten war.

„Als ich die entsorgten Dokumente durchsah, entdeckte ich diese Bauzeichnungen.“ Es waren Blaupausen eines Wagens. Drei Blätter mit genauen Maßangaben. Und was sie zeigten, erkannte Görg sofort: den Stromlinienwagen. Der knubbelige Rennflitzer war eine Legende - nicht nur in Hanomag-Kreisen. 1939 fuhr der Diesel auf der schnurgeraden Autobahn bei Dessau vier Geschwindigkeits-Weltrekorde. Eine Legende im Müll. „Das konnte ich nicht zulassen“, sagt Görg.

Zulassung für Hanomag-Stromlinienwagen am Montag

Mitte der 80er Jahre begann damit eine aufwendige Rekonstruktion, die erst in diesem Jahr endete - genauer gesagt: Anfang dieser Woche. „Am Montag habe ich die Zulassung für den Wagen bekommen“, sagt Görg. Er steht in einem Stall in Störy (Niedersachsen). Der Ort liegt am Rande des Westharzes. Und den Stall bevölkern keine Kühe, sondern eine Herde Hanomag-Raritäten: Vom Radlader mit Kampfspuren über einen Ackerpflug aus Südafrika bis hin zur dampfbetriebenen Landmaschine mit Holzwurmproblem - ein Raum voller Herzklopfenauslöser für Technikenthusiasten.

Der Stall ist die Basis der Hanomag Interessengemeinschaft (IG). Ein Verein unermüdlicher Schrauber, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, das Vermächtnis der längst verschwundenen Marke zu bewahren. Horst-Dieter Görg ist Vorsitzender der IG, und gerade schraubt er die Kennzeichen an den Stromlinienwagen. Der steht am Eingang zum Stall. Von draußen fällt Licht auf seine Rundungen. Die Aluminiumkarosserie glänzt. Eine motorbetriebene Vier-Gang-Schönheit in der Vormittagssonne.

A9 zwischen Bitterfeld und Dessau Süd wird für Hanomag kurz gesperrt

„Die Zulassung kam gerade noch rechtzeitig“, sagt Görg. Denn am Sonntag soll der Flitzer die bisher wichtigste Fahrt seines jungen Lebens absolvieren. In Dessau-Roßlau veranstaltet die IG eine Rekordwoche. Deren Höhepunkt ist eine Fahrt auf der A9, wo der pfeilschnelle Diesel 1939 mit bis zu 165 Kilometern pro Stunde Weltrekorde fuhr. Dafür wird der Teilabschnitt zwischen Bitterfeld und Dessau Süd am Sonntag kurz gesperrt. Gegen zehn Uhr geht es los.

Gebaut wurde der Hanomag-Rekordjäger bereits 1938. Damals wollten die Hannoveraner den Diesel-Motor auch in Serie auf die Straße bringen. Bis dahin war der Selbstentzünder vor allem bei Landmaschinen im Feldeinsatz. Die Ingenieure konstruierten eine Limousine, auf deren Basis dann auch das Stromlinienfahrzeug entstand. Mit dem wollte man zeigen, dass der Diesel nicht nur zuverlässig, sondern auch schnell ist.

Von den damaligen Unterlagen ist fast alles verloren gegangen, sagt Horst-Dieter Görg. Deswegen mussten sich die Schrauber aus Störy mit den geretteten Blaupausen und wenigen Fotos an das Original herantasten - eine fast kriminalistische Kleinstarbeit. Den Aufbau der Karosserie etwa erschlossen sie sich über ein altes Bild. „Das kaufte ich bei einer Messe einem Italiener ab“, erzählt Görg. Auf der Rückseite entdeckte er eine entscheidende Information. „Dort stand das Gewicht des Fahrzeugs: 900 Kilogramm.“

Damit war klar, dass der Rekord-Diesel in Leichtbauweise hergestellt worden war. Und noch dazu mit einer selbstragenden Karosserie. „Da war Hanomag Vorreiter, während VW noch hinter dem Mond lebte“, sagt Görg. Denn lange wurde die Außenhaut von Autos auf einem Rahmen montiert. „VW machte das beim Käfer auch nach dem Krieg noch so.“

100.000 Euro für die Karosserie

Über Details wie auf der Rückseite des Fotos, Archivrecherchen und viele Gespräche setzten sie Stück für Stück den Wagen wieder zusammen. Viel Zeit verschlang auch die Suche nach Originalteilen. Das Fahrgestell fanden sie bei einem Sammler in Aachen, den Motor bei einem Autoliebhaber in Mettmann (beides Nordrhein-Westfalen). Und auch finanziell stiegen die Belastungen, je länger das Projekt lief. „Allein die Aluminiumkarosserie kostete mehr als 100 000 Euro“, sagt Görg. Insgesamt floss eine Viertelmillion in den Hanomag - und ungezählte Stunden Schraubarbeit.

Doch dass sich der Aufwand gelohnt hat, wissen die Spezialisten spätestens, als sie Anfang dieser Woche ihr Meisterwerk starten. Horst-Dieter Görg sitzt am Steuer. „Jetzt fahren wir erst einmal durch das Dorf, damit alle wissen, dass wir fertig sind“, sagt er. Dann pufft weißer Rauch aus dem Abgasrohr. Der Hanomag schnurrt nicht wie ein Kätzchen, er brummt wie ein Grizzlybär. Dann setzt er sich in Bewegung. Görg lächelt zufrieden. „80 Jahre nach seinen Weltrekorden ist er nun wieder unterwegs - das macht schon stolz“, sagt der Bastler. Dann zischt er unter lautem Geknatter davon.

Rekordwoche in Dessau-Roßlau: Freie Fahrt für den einst schnellsten Diesel-Sportwagen der Welt

So schnell wie 1939 wird der Hanomag-Diesel am kommenden Sonntag nicht über die A9 bei Dessau rasen. „Wir wollen ja, dass die Leute entlang der Strecke auch etwas sehen können“, sagt Horst-Dieter Görg. Er ist Vorsitzender der Interessengemeinschaft Hanomag (IG). Der Verein veranstaltet von Freitag an in Dessau eine Rekordwoche.

Deren Höhepunkt ist das Schaufahren von 15 historischen Fahrzeugen. Darunter ist auch der legendäre Hanomag-Diesel, den die IG in jahrzehntelanger Arbeit wieder aufgebaut hat. Die Strecke bei Dessau ist dabei sehr bewusst gewählt. Denn es sind die Kilometer, auf denen das Stromlinienfahrzeug vor 80 Jahren vier Weltrekorde fuhr. Der Abschnitt von Brehna bis Dessau Süd ist am Sonntag ab zehn Uhr kurzzeitig gesperrt.

Die Rekordwoche findet zum zweiten Mal statt. Bereits 2014 fuhren die Oldtimer durch Dessau und auf der Autobahn. Schwerpunkt 2019 ist die Verbindung mit dem Bauhaus. Auch der Fahrzeugbau wurde von den Ideen der Kunsthandwerker beeinflusst. Mehrere Vorträge gehen diesen Beziehungen nach. Die Veranstaltung findet an allen Tagen im Autohaus Peter in Dessau-Roßlau statt.

Mit der Rekordwoche wollen die Organisatoren von der IG Hanomag auch die Erinnerung an den einst großen Fahrzeughersteller wach halten. 1835 als Dampfmaschinen- und Werkzeugmaschinenproduzent in Hannover gegründet, wuchs das Sortiment der AG über die Jahre. „Außer Flugzeugen und U-Booten hat Hanomag eigentlich fast alles hergestellt“, sagt der IG-Vorsitzende Horst-Dieter Görg. Nach dem Krieg arbeiteten 10.000 Menschen bei dem Konzern.

Der Niedergang der Marke, die vor allem für ihre Land- und Baumaschinen bekannt war, begann Mitte der 70er Jahre. Nach mehreren Verkäufen und Übernahmen musste Hanomag 1984 Konkurs anmelden. Die Auffanggesellschaft wurde 1989 vom japanischen Industriekonzern Komatsu gekauft. Lange blieb der Name Hanomag noch erhalten. Seit 2016 heißt das Unternehmen jedoch nur noch Komatsu Germany GmbH. (mz)

Zum Abheben: Zwei Flügeltüren ermöglichen für Horst-Dieter Görg den Blick ins Innere des Hanomag-Diesels.
Zum Abheben: Zwei Flügeltüren ermöglichen für Horst-Dieter Görg den Blick ins Innere des Hanomag-Diesels.
Andreas Stedtler