Reigen unter der Dorflinde oder vor dem Thron fasziniert
ROSSLAU/MZ. - Besser: schreiten gemessenen Schrittes unter bodenlangen Roben daher. Oder noch besser: sie erklimmen die Bühne. Und tanzen zur Musik vergangener Zeiten.
Regelmäßig jeden Dienstagabend schlüpfen die Männer und Frauen, die im "bürgerlichen Leben" in Dessau-Roßlau als Beamte, Lehrer, Schornsteinfegermeisterin oder Optiker ihrem Broterwerb nachgehen, in Bruche (Unterhose), Cotta (Unterkleid) und Surkot (Überkleid). Oder tauschen einfach die Ornate, hängen die Dienstbekleidung des Richters auf den Bügel. Und sind in den nächsten Stunden die Damen und Herren vom Tanzkreis "Saltatio Burgus".
Seit September 2008 haben sich Tänzer zusammengefunden und die Roßlauer Wasserburg zu ihrem Domizil gemacht. Und zu ihrem Wappen gleichermaßen; denn die Lateiner übersetzen "die tanzende Burg" mit dem Namen des Tanzkreises. In der warmen Jahreszeit wird auf der Burg - bei Regen in der Burgscheune - getanzt, im Winter haben die Tänzer ihr Quartier in der Burgwallstraße aufgeschlagen. Zur Zeit hat der Tanzkreis zwölf Mitglieder.
Das Mittelalter übt auch für die Menschen von heute einen schier magischen Bann aus. Wie viele Menschen sich dafür interessieren, zeigt der ungebrochene Besucherandrang auf historischen Märkten und Festen. Und prompt finden sich am Rande solcher Veranstaltungen die Interessenten zusammen. Die Askania Mittelalter IG trifft auf die Mittelaltergruppe des Roßlauer Burgvereins um Torsten und Yvonne Vollert, verabreden den Austausch über die verschiedenen Gewandungen: Woher habt ihr die Schuhe? Kennt ihr die Musikstücke? Schließlich formiert sich ein Tanzkreis.
Bei Kerstin und Thomas Müller spielen noch Familienepisoden hinein. So bekennt sich Kerstin, die stattliche Brünette, dazu, bis vor zwei Jahren "nie getanzt zu haben". "Ohne Rhythmusgefühl und Takt habe ich selbst den Hochzeitswalzer nicht zustande gebracht", zwinkert die junge Frau, ihrem Ehemann zu. Thomas aber tanzte sehr gern und wollte die Eheliebste spätestens zur Silberhochzeit einmal übers edle Parkett führen. "Wenn, dann höchstens Mittelaltertänze", setzte Kerstin eine klare Prämisse. Und so quartierte sich Familie Müller für einen anderthalbtägigen Workshop im Kloster Arnstein (Hessen) ein. Der Funken sprang über. Zu den Kreistänzen und Reigen, die im Mittelalter unter der Dorflinde ebenso getanzt und gesprungen wurden wie bei Hofe.
Die Quellenlage freilich ist verzwickt. Schon, weil sich die Wissenschaft bis heute schwer damit tut, das "Mittelalter" auf einen Zeitstrahl festzulegen. Media acta, das Mittelalter zwischen Altertum und Neuzeit. Beginnt es nun mit der Völkerwanderung um 375 oder dem Ende des weströmischen Reiches um 450? Endet es mit dem Fall Konstantinopels, mit der Entdeckung Amerikas oder mit der Reformation? Zu betrachten bleibt ein fast tausendjähriger Block, in dem sich wenig über tänzerische Ausdrucksformen und Musik findet. Tanzmeister der Renaissance erst haben die Tänze der früheren Jahrhunderte zurückentwickelt und beschrieben. So veröffentlichte der Domherr Thoinot Arbeau 1589 das umfassendste Tanzbuch der Renaissance - die "Orchésographie et traité en forme de dialogue". So wissen wir heute von den Branles genannten Kreistänzen oder den Pavanen und Gaillarden bei Hofe.
"Saltatio Burgus" probt jetzt für den Auftritt zum Leopoldsfest. Am 3. Juli geht es in der Marienkirche auf "Tanzreise von Renaissance bis Rokkoko". Aber man gräbt tiefer und landet mit "Saltatio Burgus" doch im Mittelalter.