Punkrock aus Roßlau, Colditz und Meißen Punkrock aus Roßlau, Colditz und Meißen: 100 Kilo Herz singen vom Leben in der Provinz

Roßlau/Leipzig - „Wir sind eine Nummer härter und haben bessere Bläser“, grenzt Marco Dommes seine Band selbstbewusst vom unangefochtenen Platzhirsch in ihrer Nische ab. Die Nische heißt „Punkrock mit Bläsern“ und der Platzhirsch ist niemand geringeres als Feine Sahne Fischfilet.
„100 Kilo Herz“ wollen sich keinesfalls als Abklatsch verstanden wissen. „Feine Sahne Fischfilet sind die Nummer 1, haben uns aber überhaupt nicht beeinflusst“, betont Dommes. Tatsächlich haben sich die fünf Musiker aus Roßlau, Colditz und Meißen schon vor dem großen Hype um die Punker aus Mecklenburg zusammengefunden. 2016 spielten sie in Halle ihren ersten Gig und veröffentlichten eine erste EP mit fünf Songs. Seit Ende 2018 ist die Band einem breiteren Publikum ein Begriff.
Aus Roßlau stammen mit Gitarrist Dommes und Trompeter Flecki, die in der Schifferstadt zusammen die Schulbank drückten, zwei der fünf Musiker. Was alle fünf verbindet: Als Punker in der Provinz aufgewachsen zu sein. Schlechte Erfahrungen mit Neonazis und Gewalt inklusive.
Die Erfahrungen aus der Provinz verarbeiten sie in ihren Texten
Zuflucht bot ihnen nach der Schule die Leipziger Punkrock-Szene. Hier lernen sie sich kennen, finden zusammen, feilen im Szeneviertel Plagwitz an der eigenen Musik. Die Erfahrungen aus der Provinz verarbeiten sie in ihren Texten, die sich häufig entsprechend explizit gegen Nazis richten.
Punkrock mit Bläsern ist gleich Ska? Das Etikett passt nicht zu 100 Kilo Herz. „Wir arbeiten in unserer Musik nicht mit Offbeats, wie im Ska üblich“, so Dommes. Punkrock allein werde einfach auf die Dauer zu langweilig. „Bläser bringen mehr Melodie, mehr Abwechslung.“ Und: Sie verhelfen der Band zu einem Alleinstellungsmerkmal.
Die Nische ist klein. Und so ist es wahrscheinlich kein Zufall, dass sich 100 Kilo Herz ausgerechnet 2018, also im Jahr des Feine-Sahne-Hypes, nachhaltig etablieren. Im Dezember vergangenen Jahres werden sie als Vorband für die Szenegrößen „Dritte Wahl“ und „Slime“ gebucht und treten vor einem vollen Haus Auensee in Leipzig auf. „Das war unser Knackpunkt. Seitdem geht es steil bergauf.“
Im Mai haben 100 Kilo Herz beim kleinen Berliner Label Bakraufarfita unterschrieben
Kurz zuvor hatten sie ihr erstes Album „Weit weg von zu Hause“ veröffentlicht. Die erste Auflage ist lange vergriffen. Im Mai haben 100 Kilo Herz beim kleinen Berliner Label Bakraufarfita unterschrieben, bei dem die zweite Auflage der Platte erschien. Die Abrufzahlen beim Streamingdienst Spotify stimmen mit 1.000 bis 1.500 Streams pro Tag und 2.400 Hörern im Monat ebenfalls.
Die guten Werte überzeugen laut Dommes auch die Konzertveranstalter. 60 Konzerte stehen in diesem Jahr zu Buche, deutschlandweit. „Wir machen jeder für sich seit fast 20 Jahren Musik, solch einen Rücklauf an Konzertzusagen kennen wir alle nicht“, so Dommes.
Bei allem Erfolg ist es der Band wichtig, engagiert zu bleiben. Diese Haltung führt sie auch zurück in die Heimat. „Bei Roßlau rockt für Vielfalt“ ist am Samstag, 3. August, auch 100 Kilo Herz am Start und ist auf Stress eingestellt. „Dort sind erfahrungsgemäß genauso viele Freunde wie Nazis“, berichtet Dommes. Sie seien auch bereits angegriffen worden. Trotzdem sei es wichtig, dort aufzutreten. „In Leipzig ist es ja leicht, die große Fresse zu haben.“ In der Provinz sei es umso wichtiger, den Nazis zu zeigen, dass sie hier nicht die einzigen seien. (mz)