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Fördermittelaffäre  Prozess um Fördermittelaffäre in Sachsen-Anhalt: Ex-Mitarbeiter des Wirtschaftsministeriums rückt in den Fokus

Von Christian Schafmeister 03.03.2017, 20:01
Der Angeklagte Dietmar Baumung (re.) mit seinem Anwalt
Der Angeklagte Dietmar Baumung (re.) mit seinem Anwalt  Fotos (2): ottersbach

Halle (Saale) - Soll der Zeuge heute noch vernommen werden? Es ist schon recht spät an diesem Mittwoch. Nur im Saal 96 des Landgerichtes Halle wird noch verhandelt. Die Vorsitzende Richterin Ursula Mertens berät sich kurz mit ihren Kollegen, informiert die Wachtmeister und verkündet dann: Ja, auch Hendrik W. wird am inzwischen elften Verhandlungstag zur Dessauer Fördermittelaffäre noch befragt. Und was der Ex-Mitarbeiter des Landesverwaltungsamtes aussagt, bringt die Affäre nach gut drei Monaten Verhandlung wieder näher dort hin, wo sie schon einmal war: ins politische Magdeburg.

Konkret geht es darum, ob das Wirtschaftsministerium Mitte der 2000er Jahre dem eigentlich zuständigen Landesverwaltungsamt Vorgaben gemacht hat, welche Firmen besonders schnell in den Genuss von Fördermitteln für Weiterbildungen kommen sollen. Ein Untersuchungsausschuss des Landtages hat diese Frage zwar verneint. Die Aussagen des Zeugen geben dem Verdacht aber neue Nahrung.

„Viele Firmen haben sich gleich direkt an das Ministerium gewendet, und die Anträge kamen dann von dort mit einer Stellungnahme zu uns.“ Doch nicht nur das. Sein Referat sei sogar gefragt worden, ob es noch mehr Anträge haben wolle. „Das Ministerium gab das Geld gleich oft mit dazu.“ Solche Anträge seien dann auch schon einmal schnell „mit durchgewunken worden“.

Als der Prozess Ende November startet, liegt der Fokus noch woanders - bei den drei Angeklagten. Dietmar Baumung, früherer Regionalbereichsleiter des Bildungszentrums der IHK in Dessau, seiner damaligen Mitarbeiterin Antje S. sowie Hans S., ehemals Geschäftsführer mehrerer Baufirmen. Die Vorwürfe sind sehr umfangreich, Staatsanwalt Albrecht Wetzig braucht mehr als zwei Stunden, um die 23 Seiten starke Anklageschrift zu verlesen.

Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten vor, durch falsche Angaben von 2004 bis 2008 mehr als fünf Millionen Euro Fördermittel von der EU kassiert zu haben. Beantragt wurden die Gelder zur Qualifizierung von Beschäftigten meist kleinerer Betriebe. Die Mittel seien letztlich aber zwischen den Angeklagten und mehreren Bildungsträgern, darunter das Bildungszentrum der IHK, aufgeteilt worden.

Gefälschte Teilnehmerlisten

Die Qualifizierung der Mitarbeiter sei „zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt gewesen“, sagt Wetzig. Um an die EU-Mittel zu kommen, seien „Scheinangebote“ eingeholt worden, mit denen die bereits vorher vereinbarte Auswahl und Vergabe der Aufträge gerechtfertigt werden sollte. Zudem seien gefälschte Teilnehmerlisten eingereicht worden.

Ein Mitarbeiter aus dem Referat des Landesverwaltungsamtes, das die Anträge damals prüft und bewilligt, berichtet von chaotischen Zuständen. So seien bei der Vor-Ort-Kontrolle einer Schulung nur fünf von 20 Teilnehmern anwesend gewesen. Die Ausreden seien kurios gewesen. „Bei einer Teilnehmerin hieß es, sie würde gerade Post für das IHK-Bildungszentrum wegbringen“, so der Referent aus dem Landesverwaltungsamt. „So etwas habe ich noch nicht erlebt.“ Als er das dem Wirtschaftsministerium gemeldet habe, sei die Antwort gewesen, er solle an die Verantwortlichen „nicht so hart rangehen“ und seine Worte „lieblicher fassen“.

Schlüsselfigur in der Affäre ist laut Anklage der 2007 entlassene Regionalbereichsleiter. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass er sich auch persönliche Vorteile verschafft hat. Der Verteidiger des 55-Jährigen verweist aber auf das Vier-Augen-Prinzip bei der IHK. Demnach habe sein Mandant niemals eigenständig und selbstständig agieren können. Für die Kontrolle seien zwei Geschäftsführer sowie ein Beirat verantwortlich gewesen. Daher sei es „skandalös“, dass der damalige IHK-Hauptgeschäftsführer Peter Heimann nicht von der Staatsanwaltschaft vernommen worden sei.

Die Angeklagte Antje S. räumt vor Gericht ein, „Zweifel an der ordnungsgemäßen Durchführung“ einiger Fortbildungen gehabt zu haben. Sie habe daher ihren Vorgesetzten Dietmar Baumung angesprochen. Dieser habe ihr aber versichert, es sei „alles in bester Ordnung“. Damit sei die Sache für sie erledigt gewesen. Und offenbar haben sich die Absprachen für das IHK-Bildungszentrum gelohnt. Laut Angeklagter hat die Einrichtung Margen zwischen 20 und 25 Prozent eingestrichen. „Da sind Gelder also an einer Stelle hängengeblieben, wo sie gar nicht vorgesehen waren“, so die Vorsitzende. „Denn Zweck der Förderung war sicher nicht die Sicherung des Bildungszentrums.“

Doch neben den Angeklagten geraten auch Zeugen unter Druck wie Kirsten M., ebenfalls langjährige Mitarbeiterin des IHK-Bildungszentrums. Sie räumt nicht nur ein, Gefälligkeitsunterschriften für drei Schulungen geleistet zu haben, die nie stattgefunden haben. Sie gesteht auch, mit falschen Angaben eine höhere Raumbelegung für den ebenfalls mit Fördermitteln errichteten Neubau des IHK-Bildungszentrums ausgewiesen zu haben. Doch auch sie will nicht auf eigene Faust gehandelt haben. „Die Geschäftsführung hat das gefordert.“ Um die Antwort auf die Frage, von wem der Auftrag gekommen ist, drückt die Zeugin sich nach Kräften, was die Vorsitzende Richterin ärgert. „Wenn man von einem Kollegen zum Lügen aufgefordert wird, vergisst man das auch nach einigen Jahren nicht.“

Kurze und knappe Verfahren

Hendrik W. jedenfalls kann sich genau erinnern, wie es damals mit der Bewilligung von Anträgen im Landesverwaltungsamt gelaufen ist. In einigen Fällen habe er sich nicht gegen seine Kollegen durchsetzen können, die offenbar strenger geprüft haben. Doch er wusste sich zu helfen. „In solchen Fällen habe ich mich entgegen der Hierarchie direkt an das Ministerium gewendet. Da habe ich mir die Rückendeckung von Herrn S. geholt.“ Der habe eine ähnliche Philosophie wie er vertreten, sagt Hendrik W. Ziel sei es gewesen, die Verfahren „kurz und knapp“ zu halten und das Fördervolumen zu erhöhen.

Das Jahr 2004 bringt dabei einige Änderungen mit sich. Zum einen wechselt besagter Herr S. aus dem Referat des Landesverwaltungsamtes, das sich mit der Förderung von Weiterbildungen beschäftigt, ins Ministerium. Dort betreut er den selben Bereich. Zum anderen beginnt Hendrik W. seine Tätigkeit im entsprechenden Referat des Landesverwaltungsamtes und unterhält fortan enge Kontakte zu Herrn S. Ab 2004 sollen aber auch die Taten begangen worden sein, auf die sich die Anklage bezieht.

Ihm sei aus dem Ministerium mitgeteilt worden, einzelne Firmen vorrangig zu behandeln, erklärt Hendrik W. Entsprechende Hinweise seien von Herrn S. gekommen. Doch offenbar hat auch Dietmar Baumung engen Kontakt zu Herrn S. So berichtet Hendrik W. von einer Auseinandersetzung mit dem Regionalbereichsleiter über eine Förderung. Da habe dieser gesagt: „Dann rufe ich Micha mal an.“ Er sei sich sicher, dass damit Herr S. gemeint war, erklärt Hendrik W.

Fakt ist: Die Aussagen des Ex-Mitarbeiters aus dem Landesverwaltungsamt werden das Gericht weiter beschäftigen. Staatsanwalt Wetzig hat sich bereits die Protokolle aus dem Untersuchungsausschuss zuschicken lassen und dem Gericht übergeben. Als sicher gilt, dass Herr S. als Zeuge geladen wird. Und die Vorsitzende schließt nicht aus, alle Zeugen noch einmal „ergänzend“ zu befragen. Das kann dauern. Aber das zunächst bis April angesetzte Verfahren ist ohnehin verlängert worden. Termine sind jetzt bis August geblockt.

(mz)