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Ornithologie Ornithologie: Deutschlands dienstältester Vogelkennzeichner

Von heidi Thiemann 25.04.2013, 17:38
Horst Graff und seine Ehefrau Irene.
Horst Graff und seine Ehefrau Irene. SEbastian Lizenz

Dessau/MZ - „Da brat’ mir doch einer einen Storch“, sagt Horst Graff lachend. Ja, der Angler könne den Fisch braten, den er fängt. Aber ein Ornithologe, was hat der von seinem Fang? Er dokumentiert ihn, lässt ihn wieder fliegen und ist zufrieden. „Es ist ein Ehrenamt“, sagt Graff. Und was für eines. Anfang Mai übt er es seit 65 Jahren für die Vogelwarten Helgoland und Hiddensee aus. Und: Der 81-jährige Horst Graff ist der dienstälteste Vogelberinger Deutschlands. Über 100 000 Vögel hat er markiert, darunter bis heute mehr als 3 000 nestjunge Störche.

Dass er einmal ein „Herr der Ringe“ werden würde, war freilich nicht abzusehen, als Horst Graff mit zehn Jahren in der Mosigkauer Heide auf Streifzug ging, bald jeden einheimischen Vogel und dessen Gesang kannte. Doch die Liebe war geweckt. Mit 14 Jahren gründete er eine ornithologisch orientierte Jugendgruppe, die Ortsgruppe Dessau-Alten des Landesbundes für Vogelschutz.

Mit 17 Jahren angefangen

Ein prägendes Jahr war 1947, als er Alfred Hinsche vom Dessauer Ornithologischen Verein kennenlernte. Hinsche, der ab 1930 bereits planmäßige Beringungen von Weißstörchen im östlichen Raum Anhalts und den benachbarten preußischen Gebieten durchgeführt hatte, konnte den Jugendlichen begeistern. „Die ersten Treffen mit Hinsche und dem Ornithologischen Verein fanden im Wohnzimmer meiner Eltern statt“, schmunzelt Graff. Aber nicht das, sondern seine Begabung und Kenntnis führten schließlich dazu, dass er mit 17 Jahren (was eine absolute Ausnahme war) von Hinsche bereits seine Beringungserlaubnis erhielt. „Anfang Mai 1948 konnte ich meine ersten ,eigenen’ Vögel beringen“, erinnert sich Graff..

Aus den ersten Vögeln wurden bis heute über 100 000, darunter alleine seit den 1960er Jahren 10 000 Teichrohrsänger am Fangplatz Mennewitz bei Aken. In Mennewitz, wo Graff eine Hütte als Feldstation und Übernachtungsquartier hatte. „Aufgrund des früheren Braunkohlenabbaus unter Tage gab es Einbrüche und Absenkungen. Teiche entstanden, die anfangs nur Schlammlöcher waren“, erzählt er. Limikolen (Watvögel) gingen ihm dort zur Beringung ins Netz. Auf einer kleinen Insel im Akazienteich, wo er in den 1970er Jahren Netze zur Limikolenberingung aufgestellt hatte, konnte er 1973 auch fünf Kleinmöwen fangen. Später dominierte der Fang von Kleinvögeln im Schilf - Teichrohrsänger und Grasmücke, insbesondere Mönchsgrasmücke.

Hilfe bekam Graff dabei seit über 30 Jahren von seiner zweiten Ehefrau Irene. Alle Jahre von Juli bis September verbrachten beide jedes Wochenende in Mennewitz.

Sonderurlaub vom Betrieb

In den sechseinhalb Jahrzehnten hat Graff, der als Tischler im Dessauer Reichsbahnausbesserungswerk gearbeitet hatte, auch avifaunistische Untersuchungen unterstützt, die alle in der Region vorkommenden Vogelarten erfassten. So hatte er in den 1960er Jahren die letzten beiden baumbrütenden Paare der Wanderfalken in der Mosigkauer Heide dokumentiert - bis sie 1967 verschwanden. Er hat Rot- und Schwarzmilan beringt, auch Wespen- und Mäusebussard.

Gern denkt er zurück, als er Anfang der 1950er Jahre den damaligen Leiter der Vogelschutzwarte Steckby kennenlernte, der ihn für das Höhlenbrüterprogramm werben konnte. „Ich half mit, die etwa 2 000 Nistkästen zu kontrollieren und die Jungvögel zu beringen.“ Später baute er selber 180 Nistkästen und betreute diese in der Mosigkauer Heide. Oder da war das Berghänflingsprogramm von der Vogelwarte Helgoland, dass er Mitte der 1960er Jahre mit Fängen und Dokumentationen unterstützte. Oder in den 1970er Jahren gab es am Helme-Stausee Berga-Kelbra ein Beringungsprogramm für Limikolen. „Dafür hatte ich drei Jahre lang ein paar Wochen Sonderurlaub bekommen, um den mich meine Kollegen beneidet haben“, erzählt der 81-Jährige. Und was hat er dort nicht alles zusammen mit seinen Helfern für Entdeckungen gemacht: Schmarotzerraubmöwe und Falkenraubmöwe, die eigentlich an der Küste heimisch sind, gingen ins Netz.

Ungewöhnlich auch war Graffs Einsatz in den 1970er Jahren, als er 450 Höckerschwäne einfing. „So etwas wird heute nicht mehr gemacht“, sagt er, doch damals war er allerorten an Teichen, Flüssen und an der Ostsee unterwegs, um die Tiere zu beringen. Selbst im Urlaub im Elbsandsteingebirge war der Dessauer den Tieren auf der Spur.

Graffs Tun - und das seiner Helfer, wozu auch kurzzeitig eine Beringergemeinschaft in Dessau gehörte - wurde belohnt. Er hat nicht nur über 100 000 Vögel beringt und dokumentiert mit Vogelart, Geschlecht, Flügelmaß, Uhrzeit, Datum und der Ringnummer, die er an die Vogelwarten Helgoland (bis 1964) und später Hiddensee meldete. Sondern er hat im heimischen „Vogelzimmer“ eine umfangreiche Dokumentation, die die Wiederfunde seiner beringten Tiere belegen. Die Meldungen erhält er von den Vogelwarten.

Dutzende Ordner geben Auskunft, wie viele Tage nach der Beringung und an welchem Ort der Vogel gesichtet wurde. Aus allen Teilen Europas finden sich Meldungen von Graffs gefiederten Freunden, aber auch aus dem Sudan, Südafrika, Tunesien oder Simbabwe - speziell über von ihm beringte Störche. „Mein ältester Storch wurde nach 26 Jahren gefunden“, berichtet er. Das Tier war in Mecklenburg-Vorpommern verendet. Doch auch die Meldung über eine Mönchsgrasmücke, die in Mauretanien, im westlichen Afrika, gesichtet wurde, macht ihn stolz.

Ab 20. Juni ist Storchenzeit

Ans Aufhören denkt Horst Graff noch nicht. Zwar haben er und seine Frau nun den Standort Mennewitz aufgegeben, doch auch ihr Garten ist ein guter Fangort. Über 240 Vögel sind ihm seit Anfang März hier ins Netz gegangen.

Und dann fiebert der dienstälteste Ornithologe Deutschlands dem 20. Juni entgegen. Denn dann ist wieder Storchenzeit, zieht der Vogelfreund los, die 100 Nester abzufahren im Gebiet der Mittelelbe - von Dessau bis Torgau, im Wittenberger und auch Zerbster Raum. 3 000 Jungstörchen hat er seit 1951 einen Ring anlegen können. Anfangs ist er mit der Leiter an die Nester herangekommen, heute helfen ihm Firmen oder örtliche Feuerwehren mit ihrer Technik. Er findet immer einen Weg, den Vögeln ihren Ring fürs Leben anzulegen.