Nach BombenfundNach Bombenfund: Evakuierung weckt bei zwei Damen Erinnerungen an den Krieg

Dessau - Als die Polizei klingelte, aßen sie gerade Bratkartoffeln und Sülze. „Die durften wir noch aufessen“, sagen Gerda Heinrich und Irmgard Erben lachend. Die beiden rüstigen Frauen haben es offensichtlich genossen, „von freundlichen Polizisten“ zur Friedensschule gefahren zu werden.
Dort sitzen beide am Dienstagnachmittag mit 44 weiteren Dessauern in der Turnhalle und drücken die Daumen. „Wir hoffen, dass niemand von den Sprengmeistern verletzt wird und dass wir hier nicht übernachten müssen“, sagt Heinrich.
Evakuierung in der Siedlung beginnt gegen 11 Uhr
Dessau im Katastrophenalarm: Nachdem Dienstag früh eine Fünf-Zentner-Bombe in der Hermann-Löns-Straße bei Bauarbeiten gefunden wurde, steht bald fest, dass der Zünder vor Ort entschärft werden muss. Im Umkreis von 500 Metern werden die Bewohner deshalb evakuiert. Die meisten der etwa 2.100 Menschen kommen bei Freunden und Verwandten unter. Die Polizei klingelt an jedem Haus. Rund 30 Pflegedienste werden um Hilfe gebeten.
Zeitgleich richten Katastrophenschützer in der Turnhalle ein Feldlager ein. Binnen weniger Minuten stehen gegen Mittag 50 Betten auf dem Spielfeld. Tee wird angerichtet und Obst herangeschafft. Beim Suchdienst des DRK beginnt die Arbeit. Zunächst wird jeder der freiwilligen Helfer registriert. Dann, so erklärt Gabriele Grundmann vom Suchdienst, werden die Ankömmlinge mit Namen und Adresse erfasst. „Falls jemand Angehörige sucht, können wir schnell Auskunft geben.“
Im März 1945 überlebten Irmgard Erben und Gerda Heinrich im Keller ihres Hauses
Schutz in der Turnhalle finden vor allem ältere Menschen wie Heinrich und Erben. Nur sind die zwei - 80 und 84 Jahre alt - noch die Rüstigsten. Die Evakuierung aus ihrem Reihenhaus in der Hohen Lache weckt in ihnen Erinnerungen. Am 7. März 1945 bei dem schlimmsten Bombenangriff der Alliierten auf Dessau saßen sie als Kinder im Keller ihres heutigen Wohnhauses. „Unser Vater hat während des Angriffs Brandbomben vom Haus geworfen. Doch das half nichts“. Durch die Druckwelle der Bombenabwürfe auf die nahen Junkerswerke wurde die hintere Front ihres Wohnhauses herausgerissen.
„So etwas vergisst man nicht“, schildert Erben, wie die Familie vor den Trümmern stand. Vor allem aber, wie die Heinrichs im Krieg auf die Geräusche aus den nahen Junkerswerken achtete. „Ein Summen lag in der Luft, wenn dort gearbeitet wurde und die Maschinen liefen. Wurde es still, lauerte Gefahr“, weiß Heinrich, dass sich die Familie dann im Keller aufhielt.
Verwunderung, dass in den letzten Jahren nicht mehr Bomben gefunden wurden
Erinnert an diese Zeit wurden die beiden Frauen zum ersten Mal vor rund 35 Jahren, als eine Bombe in der Siedlung entschärft wurde. „Wir wundern uns, dass seitdem nicht noch mehr Bomben gefunden wurden“, meint Heinrich mit Blick auf den naheliegenden Rüstungsbetrieb. Teile des Flugzeugwerkes wurden damals total zerstört.
Nicht alle Menschen in der Turnhalle fügten sich am Dienstag in ihr Schicksal und verließen freiwillig ihr trautes Heim. Die erste Frau, die eintraf, fragte: „Was passiert, wenn ich in meinem Wohnhaus bleibe?“ Sie wäre zwangsräumt worden. Die Einsatzkräfte ließen nichts unversucht, das Stadtgebiet zu räumen. Bettlägerige wurden mit Krankenwagen in Sicherheit gebracht. Bevor die Arbeit der Sprengstoffexperten begann, wurde die Siedlung abgesperrt. Mittels Hubschrauber suchte die Polizei nach Menschen. Erst dann begann die Arbeit zur Entschärfung der Bombe. 16.30 Uhr kam die erlösende Entwarnung. (mz)
