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Nach Blitzeinschlag in Waldersee Nach Blitzeinschlag in Dessau-Waldersee: Vermieter will Wohnungen noch dieses Jahr sanieren

Von Silvia Bürkmann 01.07.2019, 11:10
Auf der aktuellen Baustelle im Obergeschoss.
Auf der aktuellen Baustelle im Obergeschoss. Buerkmann

Dessau - Treppauf, treppab geht es durch die kahlen Flure und leeren Stuben. Vorsicht Stolperfalle: Kabel am Boden! Die vom Blitzeinschlag vor zweieinhalb Wochen in Dessau-Waldersee betroffenen Mieter erhalten am Freitagvormittag Besuch aus der Stadt Dessau-Roßlau. Neben dem stellvertretendem Stadtratsvorsitzenden Frank Hoffmann (Die Linke) kommen mit Doreen Rach und Stefanie Weller vom Eigenbetrieb Dekita auch Betriebsleiterin und Kollegin. Denn vom Blitz getroffen wurde unter acht Mietparteien im Mehrfamilienhaus mit Horterzieherin Nicole Lima Coelho auch eine Angestellte der Stadt Dessau-Roßlau.

Schuttrutsche und Container an der Straßenseite weisen auf eine Baustelle hin, die großen „Räumbrigaden“ allerdings sind nicht auszumachen in dem dreigeschossigen Mehrfamilienhaus. Im Treppenhaus indes scheppern Arbeitsgeräusche von Bohrmaschinen, Sägen und Hämmern. Ab und zu kreuzt der eine oder andere „Blaumann“ auf, schleppt Werkzeug oder Isoliermaterial heran. Oder weg.

„Ihr habt ja schon so viel geschafft in den paar Tagen und mit eigenen Händen. Jetzt braucht es Hilfe von einer Firma, um richtig vorwärts zu kommen“, meint Hortleiterin Weller vom Hort „Friedi“ in der Friederikenschule und nimmt ihre Kollegin in den Arm. Die ist erschöpft und trägt nur noch ein dünnes Nervenkostüm. „Ich schrecke immer noch aus dem Schlaf und schreie.“

Zweieinhalb Wochen ist es her, dass mitten in der Nacht ein Blitz in das Dach des Hauses einschlug

In der Alten Mildenseer Straße gegenüber des Walderseer Rehsumpfes kämpfen Menschen mit den Folgen einer Naturgewalt: Zweieinhalb Wochen ist es her, da in tiefster Nacht um 1.35 Uhr bei schwerem Gewitter ein Blitz in das Dach des Hauses einschlug. Warum der Blitz eben diesen Weg nahm, ist den Hausbewohnern und -vermietern unerklärlich. An mehreren Firsten der verwinkelten Dachlandschaft sind Blitzableiter montiert, der Blitz allerdings fuhr seitlich in eine Dachschräge, keineswegs am „höchsten Punkt“ der Umgebung.

Einem Glücksumstand ist es zu verdanken, dass ein Mieter auf dem Weg zur Nachtschicht seine Nachbarn aus dem Schlaf klingeln und trommeln konnte, bevor sich die elektrische Stromentladung in rasender Geschwindigkeit zum Großbrand entwickelte. Alle Bewohner der sieben Wohnungen, insgesamt acht Mietparteien, können sich unverletzt unter freien Himmel retten. Mit Hausschuhen oder bloßen Füßen.

Dann übernehmen 49 Einsatzkräfte der Berufs- und mehrerer freiwilliger Feuerwehren. Nach mehrstündigem Kampf mit den tückischen Brandherden bis weit nach Sonnenaufgang sind alle Glutnester unter Kontrolle und abgelöscht. Und danach sämtliche Wohnungen unbewohnbar.

Welle der Hilfsbereitschaft im Dorf und in der Stadt aus

Die Dramatik der Gewitternacht zum 12. Juni löste unmittelbar danach eine Welle der Hilfsbereitschaft im Dorf und in der Stadt aus. Die Freiwillige Feuerwehr Waldersee initiierte spontan eine Geld- und Sachspendensammlung. Verwandte und Bekannte nehmen die Blitzschlagopfer auf. Antje und Claus-Udo Steinbiß als Hausbesitzerin und Hausverwalter bringen obdachlos gewordenen Mieter in Ersatzwohnungen unter.

Aber es gibt eine andere Seite. Denn auch Neugierige und neunmalkluge Zaungäste zieht die Brandstelle an, die Unbekannten und Ungebetenen stehen urplötzlich im Aschestaub dort, wo einst die Wohn- oder Kinderzimmer der Familien waren. „Ich dachte, bei denen hakt’s“, schüttelt Nicole Lima Coelho den Kopf. Fassungslos über die Niedertracht mancher Zeitgenossen, die sich am Unglück anderer zu ergötzen scheinen. Wie durch ein Wunder kam kein Mensch zu Schaden. Aber alle stehen auf einen Schlag vor dem absoluten Nichts.

„Dieses Haus wird wieder komplett saniert und nicht abgerissen“

In dieser Woche nun kamen wieder willkommene Gäste. Oberbürgermeister Peter Kuras und der Sozialdezernent Jens Krause erkundigten sich bereits am Montag nach dem Stand der Dinge. Da versammelte sich die Runde der Mieter im Hof. „Und alle hatten eine ängstliche Frage: Sie reißen das Haus doch nicht ab!? Wann können wir wieder zurück?“, erinnert sich Hausverwalter Claus-Udo Steinbiß, der immer wieder selbst zum Werkzeug greift.

„Dieses Haus wird wieder komplett saniert und nicht abgerissen. Daran hängt nicht unser Geld. Daran hängt unser Herzblut“, so der fleißige „Hausmeister“, der gerade im Dachgeschoss die Trockenbauwände öffnet, um das vom Löschwasser durchnässte Bauwerk auf Schimmelbefall zu kontrollieren, zu bewahren und zu trocknen.

Der Vermieter hat einen sehr ambitionierten Plan: „Wir arbeiten uns etagenweise von oben nach unten vor. Im Herbst ist es fertig!“ Was? Das Dach? „Nein, alle Wohnungen“, sagt Steinbiß entschlossen und lächelt verschmitzt. Alles sei machbar. Und die Menschen vom Haus würden auch zufassen. So sagten sie auch ohne Worte, dass sie zurück wollen in die Alte Mildenseer Straße. (mz)

In der Nacht zum 12. Juli schlug um 1.36 Uhr in der Alten Mildenseer Straße in Waldersee ein Gewitterblitz ein. Alle Menschen in dem Mehrgeschosshaus blieben unverletzt.

Durch den Blitz entstand ein Feuer. Der darauf folgende Sachschaden wird in erster Schätzung auf 600.000 Euro beziffert.

Nicole Lima Coelho (M.) kämpft mit den Tränen. Dekita-Chefin Doreen Rach (l.) und Hortleiterin Stefanie Weller überbringen die Spenden und Grüße vom Team des Hortes „Friedi“ der Friederikenschule, den Kindern und Eltern.
Nicole Lima Coelho (M.) kämpft mit den Tränen. Dekita-Chefin Doreen Rach (l.) und Hortleiterin Stefanie Weller überbringen die Spenden und Grüße vom Team des Hortes „Friedi“ der Friederikenschule, den Kindern und Eltern.
 Silvia Bürkmann