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MZ-Interview mit André Bücker MZ-Interview mit André Bücker: Der letzte Vorhang für den Generalintendanten von Dessau

25.06.2015, 13:16
André Bücker
André Bücker Sebastian Lizenz

Dessau - Am Sonntag fällte im Anhaltischen Theater der letzte Vorhang von Wagners „Ring des Nibelungen“ und damit auch für André Bücker. Nach sechs Jahren voller großem Theater und Kampf um den Erhalt des Vier-Sparten-Hauses geht er. MZ-Mitarbeiterin Ute König hat sich mit ihm über seine Zeit in Dessau unterhalten.

Der Abschied ist nah. Haben Sie es schon realisiert?

Bücker: Nicht so wirklich. Man geht ja doch noch täglich hier ins Haus und ins Büro. Die Arbeit, die normalerweise sehr viel mit perspektivischer Planung zu tun hat, die wurde weniger. Aber das Tagesgeschäft gibt es immer noch. Leerlauf gibt es nicht, gerade, wenn man noch so große Sachen macht wie das 30-stündige Theaterspektakel am vergangenen Wochenende, den „Ring“ und die „Iphigenie“, die wir wieder aufgenommen haben. Ich glaube, das realisiere ich erst alles, wenn ich in der nächsten Spielzeit morgens nicht mehr hierher komme.

Das Theaterspektakel war schon Ihr offizieller Abschied. Wie schwer fiel das Abschiednehmen von den Menschen?

Bücker: Mit dem Abschied ist es immer so eine Sache. Die Arbeit am Theater ist viel intensiver und persönlicher als vielleicht in anderen Berufsbeziehungen. Das heißt dann auch, dass der Abschied emotionaler ausfällt. Es ist im Theater aber auch ganz normal, dass Wechsel stattfinden. Besonders gefreut und wahnsinnig berührt haben mich aber die Reaktionen der Menschen aus der Stadt und des Publikums. Ganz viele Leute haben Blumen vorbeigebracht, eine Karte, ein kleines Präsent, oder sind einfach gekommen und haben erzählt, welche Erinnerungen sie an die vergangenen sechs Jahre haben und was ihnen am meisten bedeutet. Es ist toll, wenn Leute zu einem kommen und sagen: „Das, was Sie gemacht haben, hat für mich und mein Leben eine ganz besondere Bedeutung.“

Das Publikum in Dessau ist sehr verbunden mit dem Theater. Wie haben Sie das empfunden?

Bücker: Als ich kam, schlug mir eine enorme Skepsis entgegen. Das war, um es milde auszudrücken, eine zurückhaltende Vorfreude auf meine Intendanz. Das ist aber das gute Recht eines jeden Publikums. Johannes Felsenstein hat hier 18 Jahre gewirkt, hat hier große Fußstapfen hinterlassen, hat das Publikum und die Sehgewohnheiten geprägt. Und dann kam ich. Generationswechsel, deutlich jünger, deutlich anderer Typ, ein völlig neues Team. Ich habe sehr viele neue Leute mitgebracht, sehr viele bis dahin Tätige mussten gehen. Das war fürs Publikum ein schmerzhafter Wechsel. Die Skepsis war sehr groß und sie schlug uns in der ersten Spielzeit auch deutlich als Gegenwind ins Gesicht.

Das ist aber alles ganz normal, das ist in jeder anderen Stadt genauso. Das, was dann passierte, war jedoch das Tolle. Es wandelte sich, weil - das ist zumindest meine Interpretation - die Leute gemerkt haben, dass wir es total ernst meinen mit dem Theater, mit der Öffnung in die Stadt, mit der Kommunikation, dass wir ernsthaft interessiert sind und ernsthaft arbeiten wollen. Ich habe beispielsweise die Programmeinführungen vor jeder Vorstellung eingeführt, ich habe die Publikumsgespräche intensiviert, später gab es noch einen Intendantenstammtisch, es gab zahlreiche Formate zur Öffnung in Richtung der anderen Kulturinstitutionen, in den öffentlichen Raum, zum Publikum hin.

Damit nahm alles eine andere Richtung. Und so groß am Anfang die Skepsis war, so groß wurde schließlich die Herzlichkeit. Der Dessauer ist ja nicht so, dass er gleich „Hurra“ schreit, wenn etwas Neues passiert. Wenn der Dessauer für sich aber erst einmal festgestellt hat, dass es gut ist und funktioniert, dann ist er sehr sehr herzlich und sehr sehr treu. Das ist wunderbar. Das hat sich grade in den vergangenen Wochen deutlich gezeigt. Das Dessauer Publikum ist ein tolles Publikum.

Was waren Ihre schönsten Momente hier in Dessau?

Bücker: Da gibt es ganz viele! Aber ich fange mal an mit dem allerersten Premierenwochenende an. Mit der Premiere von Armin Petras „Abschlussfeier“ - ich fand es damals so herrlich, mit einer Premiere zu beginnen, die „Abschlussfeier“ heißt. Und mit der Premiere von „Lohengrin“. Die Spannung im Saal werde ich niemals vergessen. Die war mit Händen zu greifen. Unvergesslich und grandios war natürlich das Pflöcke Einschlagen, als wir das Theater vertäut haben. Dann der erste „Ring“-Zyklus, diese eine Woche, in der man zum ersten Mal alles hintereinander gespielt hat. Auf jeden Fall fantastisch waren die 30 Stunden vergangenes Wochenende. Und ein Highlight war „Landscape“, um fünf Uhr morgens Zaubertheater im Luisium. Aber es gab da natürlich noch ganz viel mehr.

Auf der nächsten Seite lesen Sie unter anderem über André Bückers Verabschiebung.

Sie werden wohl als der Intendant in Erinnerung bleiben, der das Anhaltische Theater mit allen seinen Sparten gerettet hat. Sie haben sich damit viele Freunde gemacht, sind aber auch oft angeeckt. Würden Sie im Nachhinein irgendetwas anders machen?

Bücker: Wenn es die selbe Situation wäre, würde ich wahrscheinlich nichts anders machen. Ich glaube, es gab in dieser Situation wirklich keine andere Möglichkeit, als aufzustehen und laut zu protestieren. Klar könnte man an der einen oder anderen Stelle überlegen, ob das wirklich geschickt und diplomatisch war. Aber es gibt keinen Punkt, an dem ich sage: Verdammt, das hätte ich absolut anders machen müssen. Kleinere Sachen hätte ich vielleicht anders machen können. Aber die hätten keinen Einfluss auf die gesamte Gemengelage gehabt.

Politisch abgeschlossen ist die Sache offenbar nicht für Sie. Einen offiziellen, von der Stadtverwaltung organisierten Empfang, wie er zum Abschied von Generalmusikdirektor Antony Hermus stattgefunden hat, haben sie abgelehnt

Bücker: Das muss man ja wohl auch nicht machen. Man muss sich jetzt nicht noch einen Blumenstrauß mit einem Händedruck überreichen lassen von Leuten, von denen man weiß, dass sie das a) gar nicht wollen und b) gar nicht so meinen. Damit tut sich keiner einen Gefallen. Diese schlechte Komödie erspart man besser allen Beteiligten. Ich vermisse das auch nicht. Wer sich wirklich bei mir bedanken und verabschieden wollte, hat das auch getan.

Dann sind Ihnen die anderen Abschiede wichtiger?

Bücker: Ja natürlich. Eine Verabschiedung ist nur dann wichtig, wenn sie ehrlich gemeint ist.

Das vergangene Wochenende stand ja nicht nur unter dem Motto Abschied, sondern auch Aufbruch. Wie geht es nun bei Ihnen weiter?

Bücker: Ich weiß es tatsächlich noch nicht so genau. Erst einmal habe ich frei. Dann mache ich im Winter eine Gastinszenierung in Koblenz: „Eine Familie“ von Tracy Letts. Dann gibt es ein paar Gespräche über weitere Zusammenarbeiten im freien Regie-Bereich. Den einen oder anderen Fühler strecke ich auch Richtung einer künftigen Intendanz aus. Aber erst einmal ist alles offen.

Wenn Sie sich wieder für eine Stelle als Intendant bewerben, werden Sie dann anders auf die Ausschreibung schauen? Wird die finanzielle Lage eines Hauses und vielleicht auch das Bundesland eine wichtigere Rolle spielen?

Bücker: Ich glaube schon, dass ich da jetzt genauer drauf gucke. Ich gebe mich da keinerlei Illusionen mehr hin, wie so etwas laufen kann. Intendantenstellen gibt es natürlich nicht wie Sand am Meer, trotzdem sollte man wählerisch sein. Man schaut genauer auf die finanzielle Situation des Theaters und das Standing in der Stadt. Man guckt auch auf das Bundesland, ganz klar. In einem Bundesland wie Bayern, das eine offizielle Aussage getroffen hat, dass im Freistaat Bayern an Theatern keine Sparte geschlossen wird, da hat man die Probleme wie in Sachsen-Anhalt eben nicht. Andererseits: Als ich damals nach Dessau kam, wusste ich, dass es nicht einfach wird. Nur hatte ich eben keine Ahnung, dass es so schlimm wird.

André Bücker hat 2009 seinen Einstand am Anhaltischen Theater mit Lessings „Nathan der Weise“ gegeben. Von Beginn an beabsichtigte er eine Mischung aus großem Musiktheater, Schauspiel und ungewöhnlichen Formaten in vier Sparten.

Bücker war selbst als Regisseur tätig: Ein Höhepunkt: „Der Ring des Nibelungen“. Bücker kritisierte auch die finanziellen Kürzungen von Stadt und Land: Er stellte sich mit dem „Protestakt vor dem Festakt“ zur Eröffnung des Kurt-Weill-Festes gegen die geplanten (und von der Stadt dann nicht umgesetzten) Einsparungen, ab 2013 kämpfte er gegen die Streichung von sieben Millionen Euro im Theater-Etat des Landes.

Nach dem Vorschlag der Landesregierung, Schauspiel und Ballett wegzusparen, stimmte die Belegschaft einem solidarischen Akt zu: Durch Teilzeitverträge konnte der Erhalt aller Sparten gesichert werden.

In der Saison 2014/15 konnte das Anhaltische Theater nach eigenen Angaben mehr als 165.000 Besucher verbuchen. Die Erträge stiegen um rund 300.000 auf 2,3 Millionen Euro. Damit liege die Eigeneinnahme um 800.000 Euro höher als bei Bückers Amtsantritt.

Gleich nach einem halben Jahr wurde angekündigt, dass mir dreieinhalb Millionen Euro gestrichen werden von der Stadt. Nach einer so kurzen Zeit ist das ein Schlag ins Kontor, den man nicht so leicht wegsteckt. Ich bin aber jemand, der die Herausforderung mag und versucht, Lösungen zu finden. Es ist uns geglückt, Lösungen zu finden - allerdings, das muss man ganz deutlich sagen: zu einem hohen Preis. Nicht geglückt ist uns leider, dass diese Kürzungen zurückgenommen werden. Das finde ich nach wie vor schlimm. Für das Haus und seine Zukunft hat das noch gar nicht absehbare Konsequenzen.

Wird man Sie weiterhin in Dessau sehen?

Bücker: Ja, ich bleibe erst einmal hier und werde sicher weiter ins Theater gehen, als Zuschauer. Solange ich freischaffend arbeite gibt es keinen Grund, von Dessau wegzuziehen. Und ich werde mich mit Sicherheit in verschiedene Zusammenhänge weiterhin einbringen.

Wie genau wollen Sie sich einbringen? Künstlerisch oder politisch?

Bücker: Mal schauen, was es so gibt. Vielleicht sowohl das eine, als auch das andere. Für mich ist da noch alles offen. Mich interessiert die politische Entwicklung, wie es mit der Stadt weitergeht. Natürlich interessiert es mich aber auch, künstlerisch weiterzuarbeiten. Ich habe zahlreiche Verbindungen hier in die Stadt, mit denen ich künstlerisch noch etwas machen kann. Es gibt ja nach wie vor viele Andock-Möglichkeiten. Mal schauen.

(mz)

André Bückers Amtszeit als Intendant endet 2015.
André Bückers Amtszeit als Intendant endet 2015.
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