1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Dessau-Roßlau
  6. >
  7. Monolog-Reihe in Dessau: Monolog-Reihe in Dessau: Schauspieler Müller-Stahl überzeugt das Publikum

Monolog-Reihe in Dessau Monolog-Reihe in Dessau: Schauspieler Müller-Stahl überzeugt das Publikum

Von thomas altmann 04.11.2013, 19:28
Im Selbstgespräch: der Schauspieler Sebastian Müller-Stahl
Im Selbstgespräch: der Schauspieler Sebastian Müller-Stahl sebastian Lizenz

dessau/MZ - Eigentlich willst du nur einen Schluck trinken, gehst in die Kneipe. In der Ecke sitzt ein Typ, säuft, raucht, siedet. Er rammt sich den hämmernden Rhythmus der drögen Musik durch die besoffenen Schenkel, wankt auf dich zu, schlaucht eine Kippe und erzählt dir sein Leben. Der Abend ist gelaufen, so defekt, wie dieses sinnlos vorverdaute Dasein.

Literarische Schleifspuren

„Rum und Wodka“ und reichlich Bier und Whisky: Conor McPhersons Monolog einer verpassten, versoffenen Adoleszenz war am Sonnabend im rappelvollen Dessauer Kiez-Café nicht zu überhören. Als Chefsache in Szene gesetzt von André Bücker soff Sebastian Müller-Stahl in Folge Zwei der „Selbstgespräche“, die vor wenigen Wochen mit „Oskar und die Dame in Rosa“ begannen. Dieses intensive, konzentrierte und endlich auch im Spielplan des Anhaltischen Theaters platzierte Genre begann mit zwei (des ersten wegen in Anführungszeichen) „Monologen“, die in ihren Texten lediglich literarische Schleifspuren führen. Und dennoch: Gut gelaufen, weil Christel Ortmann überzeugend mit der Sentimentalität wirtschaftete, weil Sebastian Müller-Stahl nun einen wahren Scheißkerl in die Kneipe setzt, und, weil sich in der gekräuselten Feuchte des Erbrochenen doch die Gesellschaft spiegelt.

Es spielt, wo die große Literatur wohnte, in Dublin. Der namenlose, das müsste man anders sagen, Held ist 24 Jahre alt. Vor vier Jahren traf er ein Mädchen, auf einer Party. Sie kümmerte sich um ihn, „während ich in ihren Schuh kotzte“. Sie wird schwanger. Heirat, ein biederer Bürojob, ein zweites Kind, eine Hypothek, ein Reihenhäuschen. Er arbeitet, säuft, schläft, auch mit seiner Frau, nennt es nur anders, und manchmal, diesmal ist es das richtige Wort, spielt er mit den Kindern, spielt Vater.

Als er eines Tages betrunken aus der Mittagspause kommend zur Rede gestellt wird, passiert es. Er wirft seinen Computer aus dem Fenster. Nun säuft er ein Wochenende durch, trifft eine Frau aus besseren Kreisen, schlägt sich und sitzt wieder vor dem Bett der Kinder. „Wenn du in der Scheiße steckst, empfindest du all die selbstgerechte Empörung des unschuldigen Opfers.“ Solche Gedankenschläge bleiben selten. Das Wochenende läuft als Tatsachenbericht eines versoffenen, kotzenden Egomanen. „Ok. Ich bin nun mal ein verblödeter Arsch.“

Kein Ästhet des Alkohols

McPherson stilisiert seinen Helden keineswegs zum Ästheten des Alkohols. Was bleibt? Nur ein endloses Erbrechen auf der literarischen Ebene eines Kneipenpissoires? Ja, und dennoch spiegelt sich die Gesellschaft im Abort, eine Gesellschaft, die sich so gibt, als seien große Ziele permanent verfügbar, eine Gesellschaft, die, indem sie Freiheit und Glück sagt, Abhängigkeit und Sucht erzeugt.

Klar hat der Säufer zu früh die Hypotheken des Erwachsenwerdens aufgenommen. „Das war’s“, sagt dieser Kerl im Angesicht dreier Menschen, als spielten sie keine Rolle. Fragte man ihn, was er mehr wolle, schlüge einem der abgestandene Atem einer leeren Flasche entgegen. Komasaufen als Gesellschaftsspiel! Geschlechtsverkehr, Marke setzen, Beinchen heben! Mehr! Weiter! Die Übertragung marktwirtschaftlicher Prinzipien auf das Leben fordert Tribut. Aufhören, aufmerken, sich zufrieden geben? Dann würde der Markt kollabieren. So kollabiert das Leben.

Schauspiel in der Stadt

Für diese kleinen Inszenierungen jenseits der Gala, am Fuße der Leuchttürme in verkarsteter Landschaft brauchen wir das Schauspiel. Bravo für diese unaufgeregt erschlagende Inszenierung einer hohlen Hyperventilation. Bravo dafür, dass das Schauspiel mit diesem Stück einmal mehr in die Stadt geht. Und Bravo für Sebastian Müller-Stahl. Wie er diesen Scheißkerl sehnig serviert, wie er ihn selbsttrunken durch alle Bierlachen zieht, wie er sich an der verschanzten Leere verletzt, wie er beißt und zielsicher ins Nichts tritt! Schade: Der Monolog ist gelaufen. Zweimal und vorbei. Vielleicht, weil wirklich Wodka, Whisky, Rum im Glas waren. C’est la vie. Prost!

Postskriptum: Eigentlich ist Schluss. Müller-Stahl setzt sich zu einem älteren Paar auf die Lehne eines Sofas, fragt in versoffener Vertrautheit: „Hab ich ihnen schon erzählt, was ich in den letzten drei…“ Sie schweigen. Hau ab!