Kurt Weill-Fest Kurt Weill-Fest: Ringen mit dem Junkers-Bild

DESSAU/MZ. - Klaus D. Schwarz stand vor der Bauhaus-Aula und grübelte lange. Eine halbe Stunde schon war die Premiere von „Der fliegende Mensch – Eine Junkers-Saga“ vorbei, doch der Junkers-Experte war immer noch in Gedanken versunken. „Ich glaube, ich muss jetzt sehr viel lesen“, sagte Schwarz irgendwann. „Alles was ich über Hugo Junkers weiß, habe ich offenbar falsch verstanden.“ Was am „falschesten“ war? „Es ist einfach das Bild, das von Hugo Junkers gezeichnet wird.“
Kritischer Blick
Ein herzloser Vater, der einfach weiter arbeitete, als sein erster Sohn Wolfgang bei einem Flugzeugabsturz verunglückte. Ein opportunistischer Pazifist, der forschte und vom Krieg profitierte, der Briefe an die Nazi-Spitze schrieb, um sein Flugzeugwerk, sein Lebenswerk, zu erhalten („Ich will tun, was der Führer will“). Ein naiver Unternehmer, der sich um seine Mitarbeiter kümmerte („Jeder soll stolz antworten können; Ich arbeite bei Junkers“), der sich gegen die Massenproduktion aussprach – und trotzdem darauf angewiesen war. Tine Rahel Völcker hat mit ihrer Recherche das getan, was in Dessau nicht eben üblich ist: Die Berliner Autorin hat einen kritischen Blick auf den Flugpionier geworfen, den Dessau mit einem eigenen Museum würdigt und dem bald auch ein eigenes Denkmal gebaut werden soll. Andrea Moses hat das Stück inszeniert, das am Sonnabend auf der historischen Bauhaus-Bühne inszeniert wurde, das viel Beifall bekam, aber auch viele Fragen aufwarf.
„Hugo Junkers war eine zwiespältige Person“, sagte Oberbürgermeister und Premierengast Klemens Koschig. Der hatte mit der Autorin Tine Rahel Völcker lange Gespräche über den Dessauer Erfinder und Unternehmer geführt- und ein anderes Stück erwartet. „Hugo Junkers hat seinen höheren Zielen vieles untergeordnet“, gibt Koschig zu. Auch die Familie. Die Junkers-Saga sieht Koschig kritisch. „Das Stück wird einige verletzen.“ Bernd Junkers beispielsweise. Der Junkers-Enkel war aus München zur Premiere nach Dessau gekommen. Autorin Völcker hatte auf ein Gespräch vorab verzichtet, um unbefangen zu bleiben. „Das Stück tat an manchen Stelle weh“, gab Junkers zu – und blieb trotzdem zurückhaltend in seiner Kritik. „Es ist eine Saga, der man künstlerische Freiheit zubilligen muss“, sagte Junkers.
„Ich habe ein anderes Bild von meinem Großvater. Ich sehe ihn mit diesem Stück nicht getroffen.“ Was darf Kunst? Wo hört Realität auf, wo fängt Fiction an? Für Klaus D. Schwarz ist die Antwort einfach. „Hätte dieses Stück die Geschichte eines beliebigen Junkers-Ingenieurs erzählt, dann hätte ich gesagt, toll gemacht.“ Doch: „Es wird der Name Junkers verwendet. Da tauchen die Tochter Hertha und der Sohn Klaus auf. Und dann muss das stimmen, was da erzählt wird.“ Klaus D. Schwarz und Bernd Junkers hatte viele Details gefunden, die falsch waren. „Es kann beispielsweise nicht sein, dass Hugo Junkers seinem Sohn Klaus 1920 die Führung der Firma angeboten hat“, sagt Bernd Junkers. „Da war Klaus 14.“ Schwarz will da gar nicht ins Detail gehen. „Die Geschichte von Hugo Junkers ist viel komplexer und komplizierter, als man es in einem Theater-Stück in eineinhalb Stunden darstellen kann.“
Regisseurin Andrea Moses hatte deshalb schon vorab gewarnt. Das Stück sei weder eine Geschichtsstunde noch eine Biografie, es stelle kritische Fragen mit dem Ziel, dass sich jeder selber überprüfe, wie er sich in manchen Situationen verhalten hätte. „Vielleicht sieht man Hugo Junkers jetzt nicht mehr durch eine rosarote Brille“, sagte André Bücker, der Generalintendant des Anhaltischen Theaters. Das Stück sei keine Denkmal-Schändung und eine Junkers-Beschimpfung. „Es ist toll gespielt, unglaublich klug inszeniert – und es erzählt Dessauer Zeitgeschichte.“ Mit Hilfe von Hugo Junkers.
Besonderes Geschenk
Dass in Dessau die Nazis mit als Erste an die Macht kamen. Dass in Dessau Zyklon B hergestellt wurde, mit dem die Juden vernichtet wurden. Dass die jüdische Synagoge in Dessau als eine der ersten in Deutschland niedergebrannt wurde. Das Stück verknüpft all das – und ist deshalb ein besonderes Geschenk des Anhaltischen Theaters zum 800. Geburtstag von Dessau, weil es versucht, die heile Feier-Welt aufzubrechen.
„Es ist ein Abend, der von ganz vielen Schülern gesehen werden sollte“, findet Bücker. „Es ist ein Stück, das nur ein Anfang sein kann, wenn man sich mit der Person Hugo Junkers beschäftigt“, fordert Bernd Junkers. Der Großvater sei vielschichtig gewesen und nicht einfach. Auch herzlos? „Hugo Junkers war sehr zielgerichtet, auch bei der Erziehung seiner Kinder“, berichtet der Enkel. Da habe er die gleichen Maßstäbe angelegt wie an seine Mitarbeiter. Dass das für die Kinder nicht immer einfach war, gibt auch der Enkel zu. „Wer will schon ein Genie zum Vater haben?“