Kritische Betrachtung Kritische Betrachtung: Dessaus Ex-Bauhausdirektor Philipp Oswalt schreibt Buch über "Marke Bauhaus 1919 - 2019"

Dessau - Ein Sneaker. Brillenmodelle. Ein Hostel. Eine Brauerei. Eine Armbanduhr. Ein Frisör. Ein Jugendzentrum. Ein Modelabel. Ein Kräuterlikör. Was haben die gemeinsam? Keine Ahnung? Also noch mehr Tipps.
Ein Fertighaus findet ebenso Platz in der Aufzählung. Und eine Rockband. Der Groschen ist immer noch nicht gefallen? Okay. Auch ein Baumarkt schmückt sich mit dem Namen wie die zuvor aufgezählten Gegenstände, Firmen und Institutionen. Jetzt, genau: Sie alle nennen sich Bauhaus.
Die putzig anmutende Aufzählung ist Philipp Oswalt zu verdanken und findet sich in seinem jüngsten erschienenen Buch „Marke Bauhaus 1919–2019“. Untertitel: „Der Sieg der ikonischen Form über den Gebrauch“.
Buch ist ein Kontrapunkt zur oft unreflektierten Überhöhung des Bauhauses
Das Buch ist ein Kontrapunkt zur oft unreflektierten Überhöhung des Bauhauses im vorigen Jahr, in dem oft der Eindruck vermittelt wurde, dass vor dem Bauhaus nichts gewesen sei und alles, aber auch alles, was in den 20er Jahren mit Flachdach gebaut wurde, „Bauhaus“ sei.
Oswalt, der 2009 selbst Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau wurde und 2014, man kann das wohl sagen, geschasst wurde, hat indes weder eine Streitschrift verfasst noch eine billige Polemik gegen Walter Gropius, wie sie Bernd Polster in „Architekt seines Ruhms“ abgeliefert hat, worin selbst die Tatsache, dass Gropius Reiter war, noch als Beleg für dessen angebliche Zwielichtigkeit herhalten muss.
Und, auch das ist wichtig zu betonen: Oswalt selbst hat trotz seiner kritischen Distanz zum Bauhaus und dessen Wirken seinen Teil zur Markenbildung beigetragen: Ohne seine Intervention wäre die Rekonstruktion der Meisterhäuser Gropius und Moholy-Nagy womöglich heute noch nicht bewerkstelligt.
Gleichwohl räumt Oswalt mit einigen Mythen auf, die sich um das Bauhaus ranken
Gleichwohl räumt Oswalt mit einigen Mythen auf, die sich um das Bauhaus ranken - und erklärt, wie sie entstanden und wie sie vor allem gefestigt wurden. Einen Grundstein für diese legte Gropius 1919 mit dem Namen „Staatliches Bauhaus“, der im Laufe der Zeit zu „Bauhaus“ verknappt wurde und den der Vorläuferinstitutionen Großherzoglich-Sächsische Kunstgewerbeschule mit der Großherzoglich-Sächsischen Kunstschule Weimar ablöste.
Knackiger als „Bauhaus“ ging es kaum. Gropius war es so möglich, meint Oswalt, das Bauhaus als „seine persönliche Schöpfung“ zu inszenieren und einen „Scheinriesen“ aufzubauen. Trotz anfänglich eher dürftiger eigenständiger Ergebnisse wurde die Schule zur Pilgerstätte der modernen Eliten. „Was zunächst als Stätte der Nachahmung wirkte, gilt dank exzellenter PR nun in der Öffentlichkeit als Ort des Ursprungs.“
Oswalt hat gerade für die Architektur etliche Vorbilder und Vorläufer zusammengetragen, deren Modernität gerade gegen „das Bauhaus“ gehalten dessen Innovationskraft relativiert: Er findet sie in den klaren Linien des Neoklassizismus, in Joseph Paxton fantastischem Londoner Kristallpalast von 1861, Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA bei Frank Lloyd Wright und Albert Kahn oder quasi in der Nachbarschaft bei den Architekten der niederländischen Gruppe De Stijl. Das Bauhaus war mithin - ein wichtiger - Teil der Avantgarde, kein Solitär.
Auch für Gropius’ Architektur findet Oswalt harte Worte
Ein Vorwurf Oswalts gegenüber dem historischen Bauhaus lautet: Es ging - jedenfalls unter Gropius - nur nachrangig, wenn überhaupt, um eine soziale Utopie, sondern um eine „entpolitisierte Idee einer Versachlichung“ durch Eliten, die die Gesellschaft nach „objektiven Kriterien modernisieren“ wollten. Viele der bis heute ikonischen Bauhaus-Produkte seien „elitäre Lifestyle-Produkte“ gewesen, im schlimmsten Falle nicht nur sehr teuer, sondern auch wenig funktional wie die Wagenfeld-Lampe, die bis heute einer bestimmten Klientel als Ausweis des guten Geschmacks gilt, im Gegensatz zur tatsächlich massenhaft produzierten, billigen und praktischen Kamden-Lampe.
Auch für Gropius’ Architektur findet Oswalt harte Worte: „Mit seiner Reklamearchitektur hat Gropius dem Fetischcharakter der Waren im kapitalistischen System Rechnung getragen, der den Gebrauchswert dem symbolischen Wert der Dinge unterordnet.“ Ein Umstand, der hilft, nach dem Krieg das Bauhaus in Westdeutschland in Abgrenzung zum Osten zur „Staatsräson“ zu erklären und sich praktischer Weise den Fragen nach der historischen Schuld zu entziehen.
Mit der großen Schau „50 Jahre Bauhaus“ seien die Deutschen zu Erfindern der Moderne geworden - eine Behauptung, die sich bis heute in den Köpfen festgesetzt hat. Zugleich habe sich Gropius an eine Umdeutung der Geschichte gemacht: Der Bauhaus-Stil sollte nunmehr nie einer gewesen sein, ein Programm solle es nie gegeben haben.
Für die Zeit ab 1990 findet Oswalt den Begriff der „Touristifizierung des Bauhauses“
Für die Zeit ab 1990 findet Oswalt den Begriff der „Touristifizierung des Bauhauses“ - die sich 2019 als extrem erfolgreich erwies, als von allen Seiten die Bedeutung des Bauhauses beschworen wurde. Aber, so Oswalt: „Kann das mehr sein als eine Leerformel, deren Wirkungslosigkeit und Irrelevanz ohnehin allen bewusst ist?“ Verwaltet sieht Oswalt das Bauhaus heute vorwiegend von Funktionären, ein Umstand, der das Verbot des „Feine Sahne Fischfilets“-Konzerts ermöglichte.
Was also tun mit dem „untoten Bauhaus“? Letztgültige Antworten liefert Oswalt nicht. Am Ende seines Buches redet er einer Überwindung des Bauhauserbes in Gropius Sinne das Wort, einer „kritischen Inventur“. Von der heutigen Marke Bauhaus müsse man sich verabschieden, um sich unvoreingenommen den Herausforderungen der Gegenwart zu stellen. (mz)
Philipp Oswalt: „Marke Bauhaus 1919-2019. Der Sieg der ikonischen Form über den Gebrauch“ Scheidegger und Spiess Verlag, Zürich 2019, 336 Seiten, 38,00 Euro
