Biotechnologie in Dessau Kommt der künftige Corona-Impfstoff aus Dessau in Sachsen-Anhalt?

Dessau-Roßlau - Flasche für Flasche füllen die beiden Frauen mit der klaren Flüssigkeit. Um sie herum glänzen Edelstahl-Oberflächen. Ihre Handgriffe sind geübt, was sie anfassen, wird sofort desinfiziert. Ihr Arbeitstempo: gemächlich. Doch die reduzierte Geschwindigkeit der in blaue Schutzkleidung gehüllten Frauen ist keineswegs Faulheit, sie ist Vorgabe und Arbeitsmaxime. Angewiesene Langsamkeit sozusagen.
Denn bei jeder schnellen Bewegung besteht die Gefahr, dass winzige Staubteilchen aufgewirbelt werden. Gelangen diese Körnchen in die farblose Flüssigkeit, könnte sie unbrauchbar werden. Das Werk eines Tages wäre damit zerstört.
Corona-Impfstoff aus Dessau? - Tests ab Herbst geplant
Schon dieses Beispiel zeigt, mit welcher Genauigkeit und Sorgfalt bei IDT Biologika produziert wird. Die beiden Frauen sind Mitarbeiterinnen des Biotechnologie-Unternehmens aus Dessau-Roßlau. Was sie machen, lässt sich durch große Glasscheiben beobachten. Die Schaufenster wurden im 2019 eingeweihten Produktionsgebäude eingebaut, um einen Einblick in eine Arbeit zu geben, die sonst hinter mehreren Schleusen und Sicherheitsstufen verborgen ist: Die Herstellung eines Impfstoffs.
Ebola, MERS oder das Lassafieber – bei IDT werden Mittel hergestellt, die gegen verheerende Viruserkrankungen immun machen. Und bald schon soll hier auch der Wirkstoff in Ampullen gefüllt werden, den man aktuell als „Heiligen Gral“ der Weltgesundheit bezeichnen kann: Eine Impfung gegen das neuartige Coronavirus Sars-Cov-2.
Dessauer Forscher arbeiten im internationalen Verbund
Denn während die Welt unter den Folgen der Pandemie leidet, wird im BiopharmaPark Dessau an einer Lösung der globalen Notlage gearbeitet. IDT ist dabei Teil eines Forschungsverbunds, der den Impfstoff gemeinsam entwickelt. Fragt man allerdings Andreas Neubert nach dem Präparat, auf das die Welt wartet, tritt der IDT-Entwicklungsleiter erst einmal auf die Euphoriebremse.
„Stand jetzt testen wir unseren Wirkstoff im Herbst erstmals an einer kleinen Gruppe von Menschen“, sagt Neubert und schiebt gleich noch eine andere Zeitangabe hinterher, die das Bild vom schnellen Wundermittel geraderücken soll. „Die Herstellung eines Human-Impfstoffs dauert normalerweise zehn Jahre.“
Neubert steht, als er das sagt, vor dem Reinraumfenster, hinter dem die beiden Frauen Flaschen befüllen. Die Flüssigkeit, mit der sie hantieren, ist zwar farblos, dafür inhaltsreich. „In 150 Milliliter Nährlösung sind Millionen hochspezifischer Zellen, die sich in den Flaschen weiter vermehren sollen“, erklärt der 64-Jährige. Diese Zellen kann man sich als kleine Fabriken vorstellen, deren Aufgabe die Produktion eines Virus ist. „Natürlich nicht des Sars-2-Virus“, beruhigt Andreas Neubert.
Anti-Corona-Idee aus Dessau - Virus hilft gegen Virus
Die Zellen vervielfachen ein Trägervirus, das genetische Informationen des neuartigen Erregers enthält. Mit dem Trägervirus sollen Menschen gegen Sars-Cov-2 immunisiert werden. Virus hilft gegen Virus - so die Hoffnung.
Um diesen Mechanismus zu verstehen, muss man etwas genauer wissen, wie das neuartige Coronavirus den menschlichen Organismus erobert. Auf den Darstellungen des Erregers sind zumeist Ausstülpungen auf dessen kugelförmiger Hülle zu sehen. Dabei handelt es sich um Rezeptoren. „Mit denen dockt das Virus an die menschlichen Zellen an“, erklärt Andreas Neubert.
Einmal in Kontakt, wird der Erreger von der Zelle aufgenommen und kann sich darin dann vermehren. „Die infizierte Zelle geht daran zugrunde, zerplatzt und die gebildeten Viren können neue Zellen befallen.“ So verbreite sich Sars-Cov-2 im Körper.
Viele Hürden auf dem Weg zum Corona-Impfstoff
Allerdings ist der Mensch diesem Mechanismus nicht hilflos ausgeliefert. Als Immunantwort bildet er zum einen Antikörper, die den Rezeptor des Coronavirus blockieren. „Sie neutralisieren ihn, so dass der Erreger nicht an die menschlichen Zellen andocken kann.“ Die Infektion wird damit gestoppt. Hinzu kommen Immunzellen, die die infizierten Zellen zerstören und die Viren entsorgen. „Ein Impfstoff funktioniert am besten, wenn diese beiden Mechanismen in einer guten Balance sind“, sagt Neubert. Dieses Gleichgewicht zu treffen, sei das Ziel.
Nachdem die beiden Frauen alle Flaschen befüllt haben, kommen die Gefäße in Schränke, die wie Weinregale aussehen. Rollen bewegen sie darin. Das stimuliert das Zellwachstum. „Wenn die gewünschte Zahl Zellen erreicht ist, wird das Trägervirus hinzugegeben“, erklärt Andreas Neubert. Im Fall des Sars-Cov-2-Impfstoffs wird ein in menschlichen Zellen nicht vermehrungsfähiges Pockenvirus verwendet.
„Das dringt schnell in die Zellen ein und aktiviert auch die Abwehrkräfte sehr gut.“ Immunzellen werden gebildet und weil das Pockenvirus auch Genmaterial des Coronavirus enthält, zeigen sich dessen typische Rezeptoren auf der menschlichen Zelle. Das wiederum führt zur Bildung neutralisierender Antikörper.
Wann gibt es einen Corona-Impfstoff?
In einer Produktionszelle entstehen um die 100 solcher Impfviren. In weiteren Produktionsschritten werden diese gereinigt, als Impfstoff aufbereitet und dann abgefüllt. Bis das bei IDT allerdings massenweise geschieht, wird noch einige Zeit vergehen. Wie lange, darüber will Andreas Neubert, der seit 1982 in Dessau an viralen Medikamenten forscht, nicht spekulieren.
Seine Erfahrung allerdings sagt, dass sich immer wieder Hürden in den Weg stellen: „Gerade bei den Coronaviren wurde etwa bei Tieren beobachtet, dass der Impfstoff die Infektion in wenigen Fällen noch verstärkt.“ Ob das auch für Menschen gilt, sei bisher unklar. Doch gemeinsam mit seinen Forschungspartnern will IDT diese Hürden nehmen. „Wir werden unser Bestes tun, um den Impfstoff auch verfügbar zu machen“, verspricht Andreas Neubert. (mz)