Kleine Klinik der kurzen Wege
Dessau/MZ. - Die meisten von ihnen waren viele Jahre in der Poliklinik Wasserwerkstraße tätig. Nach der Wende entsprach die aber nicht mehr den "zeitgemäßen medizinischen Versorgungsstrukturen". Die Ärzte wählten die berufliche Selbständigkeit, wollten jedoch auf die seit Jahrzehnten bewährte Kooperation mehrerer Fachärzte und medizinischer Dienstleister unter einem Dach nicht verzichten. "Damals war das etwas völlig Neues in der Bundesrepublik", haben die Dessauer erfahren. Auch der Name "Poliklinik" durfte nicht mehr genutzt werden.
"Deshalb wurden wir ein Unfallbehandlungszentrum, was wir aber nie waren", so Matthias Bundz. Das Zusammenarbeiten von Ärzten und das ambulante Operieren entsprachen vor zehn Jahren nicht der Gesundheitspolitik des Bundes.
2 000 Operationen stehen in der Gutenbergstraße heute jährlich zu Buche. Fachärzte aller im Haus vertretenen Fachrichtungen stehen hier am Tisch. "Die Akzeptanz bei den Patienten ist hoch", weiß der Anästhesist André Hendrich. "Viele sind froh, dass sie nicht ins Krankenhaus müssen." Schätzen gelernt hätten Patienten wie Ärzte gleichermaßen die "kurzen Wege", die das Praktizieren, Röntgen und Operieren unter einem Dach bietet. "Ich würde mich als Einzelkämpfer deutlich unwohler fühlen", gibt Hendrich zu und berichtet, dass er vor allem den Austausch mit den Kollegen schätze. Auch Urologe Ulrich Nette möchte die Synergieeffekte nicht mehr missen.
Mike Lenor, ebenfalls Urologe, findet: "Die Zusammenarbeit ist auch ökonomisch sinnvoll." So sei die moderne Röntgentechnik gemeinsam finanziert worden. "Ein Arzt allein kann dies gar nicht leisten." Auch der gemeinsam genutzte OP-Trakt habe sich angesichts der finanziellen Einschränkungen im Gesundheitswesen als kluge Entscheidung herausgestellt. "Wir sind ein modernes kleines ambulantes Krankenhaus", sieht es Mike Lenor. Wobei zum Jahresende zwei Hausärzte das Angebot des Ärztehauses weiter vervollkommnen werden.
Dass das ambulante Operieren kostengünstiger ist als die klassische OP mit Klinikaufenthalt, steht außer Frage. "Nur die Krankenkassen wollen davon nichts wissen", ärgert sich Mathias Bundz. Nach zehn Jahren ist die Gesundheitspolitik der Bundesrepublik indes umgeschwenkt. "Medizinisches Versorgungszentrum" heißt jetzt das Zauberwort, das als bahnbrechendes Novum des Gesundheitswesens proklamiert und finanziell gefördert wird. "Die von der Politik geforderte zentrierte Versorgung praktizieren wir seit zehn Jahren", stellt Ulrich Nette. "Wir begrüßen deshalb diesen Trend", so der Chirurg Bundz. "Aber uns ärgert die Überbewertung der einen Richtung, durch die die andere kaputt gemacht wird."
Grund für die Missstimmung ist die Handhabung der integrativen Versorgung, die für den Patienten einen ein- bis dreitägigen Krankenhausaufenthalt vorsieht. "Diese stationsersetzende Leistung ist durchaus sinnvoll, wenn eine längere Nachbehandlung notwendig ist", erläutert André Hendrich. "Aber es kann nicht sein, dass viele typische ambulante Operationen zu diesen umfunktioniert werden, nur weil es gerade in und damit lukrativ ist."