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Haare schneiden als Passion Karriere in Ost und West - Kochstedter Friseurin hat mit 74 Jahren Goldenen Meisterbrief erhalten

Von Danny Gitter 20.10.2021, 12:19
Dagmar Veckenstedt  zeigt ihren goldenen Meisterbrief.
Dagmar Veckenstedt zeigt ihren goldenen Meisterbrief. Foto: Thomas Ruttke

Dessau/MZ - Wenn der Geruch von Haarpflegemitteln und das Geräusch des Föns in der Luft liegen, dann ist Dagmar Veckenstedt noch immer in ihrem Element. Dann weiß die 74-jährige Kochstedterin, alles richtig gemacht zu haben. Kürzlich hat sie den Goldenen Meisterbrief von der Handwerkskammer erhalten, der ihr bestätigt vor 50 Jahren die Meisterprüfung im Friseurhandwerk bestanden zu haben. „Friseur, das ist für mich nicht nur ein Beruf, das ist tatsächlich eine Berufung“, sagt sie.

Im Salon ihrer Tochter in Kochstedt hilft sie auch jetzt im Ruhestand dann und wann noch mit aus. Dabei musste sie zu ihrem beruflichen Glück vor mehreren Jahrzehnten ordentlich geschubst werden.

„Ursprünglich wollte ich mal Sportlehrerin werden“, erzählt Dagmar Veckenstedt. Doch die Eltern betrieben in Kochstedt einen Friseursalon und legten der Tochter nahe, in ihre Fußstapfen zu treten. Sie ließ sich im elterlichen Salon ausbilden und fand Gefallen am Waschen, Färben, Schneiden, Fönen.

Die Eltern gingen in Rente. Der Staat drängte Dagmar Veckenstedt, in die PGH einzutreten. Irgendwann nach der Meisterprüfung arbeitete sie in einem PGH-Salon im Kochstedter Rathaus. Der Beruf gefiel ihr noch immer, die Unfreiheit der sozialistischen Gesellschaft dagegen immer weniger. Mit ihrem Mann stellte die Kochstedterin 1986 einen Ausreiseantrag. 1989 wurde der bewilligt.

„Ausgerechnet am 9. November 1989 saßen wir im Zug nach Nürnberg“, erzählt Veckenstedt. Noch während der Zugfahrt verkündete das Personal, dass die Grenze zur BRD für alle DDR-Bürger offen ist. Für sie, ihren Mann und ihre damals kleine Tochter war das eine sehr bizarre Situation. Eben noch gezwungen, für die ersehnte Freiheit das Häuschen in Kochstedt billig zu verkaufen, gab es plötzlich Freiheit ohne Bedingungen für alle. Sie freuten sich trotzdem für ihre Landsleute und wollten im „Westen“ nur noch nach vorne blicken.

In einem Salon in einem Nürnberger Grand-Hotel fand Veckenstedt schnell Arbeit. „Da habe ich noch einmal viel dazugelernt“, erzählt sie. Den eigenen Traum von der Selbstständigkeit gab die Kochstedterin auch in der Fremde nicht auf. Schon ein Jahr nach ihrer Ankunft in Nürnberg eröffnete sie im benachbarten Fürth einen eigenen Salon. Rund 30 Jahre betrieb sie den und verkaufte ihn Anfang 2020. „Ich habe mich da durchgeboxt“, sagt sie stolz.

Doch spürte sie in den 30 Jahren in Franken kaum einen Ost-West-Konflikt. Stets auf Augenhöhe ist man sich dort begegnet. Deshalb hat die gebürtige Kochstedterin im fränkischen Fürth auch viele Freundschaften geschlossen.

Im Alter sollte es trotzdem in die Heimat zurückgehen. Ihre Tochter zog es schon vor rund 20 Jahren wieder nach Dessau. Im Haus der Großeltern in Kochstedt eröffnete sie am 2. Februar 2002 einen eigenen Salon.

Im vorigen Jahr zog Dagmar Veckenstedt mit ihrem Mann auch wieder hierher. Freunde, die auch einst aus Dessau weggingen, leben mittlerweile auch wieder in der Stadt. Regelmäßig trifft man sich. Besuche in Franken stehen aber auch regelmäßig auf der Agenda. Zwischendurch wird im Salon der Tochter ausgeholfen. Das Leben ist für Dagmar Veckenstedt gut so wie es ist.