Kameraprofi bleibt seinem Standort treu
DESSAU/MZ. - Ein letzter Rest besiedeltes Gelände stadtauswärts gleich links hinter der Brauereibrücke. Die Taubenstraße zählt nur ein paar Mehrfamilienhäuser aus den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts. Kaum die Hälfte ist bewohnt, sanierte Häuser wechseln mit solchen, deren Türen und Fenster verrammelt sind. Unvermittelt bricht die Häuserzeile ab und gibt den Blick frei auf weites Land, Abrissland.
Wer wohnt dort, wer arbeitet dort? Wem kann man jetzt so gut von hinten in die Gärten gucken, nachdem die Häuser des Rodebille-Viertels abgerissen sind. Ralf Hügle ist einer der wenigen, die hier ausharren. Und er tut es gerne. Standorttreue nennt man das. Die Taubenstraße 6, wo Hügle jedem nach kurzem Klingeln seine Ladentür öffnet, ist ein Standort mit Tradition. "40 Jahre gibt es unseren Laden hier", sagt der junge Mann.
Der Laden ist eine Kamera-Werkstatt, die der heute 85-Jährige Karl Hügle 1932 gründete und erst in Ziebigk einrichtete. Karl Hügle ist noch immer der Chef, geführt wird das Geschäft seit etlichen Jahren jedoch von Enkel Ralf, der seit 1990 hier arbeitet. Eigentlich habe er Instandhaltungsmechaniker gelernt, gefallen aber hat ihm der Job nie. Die Feinmechanik lag ihm viel mehr und natürlich die Kameras, die schon der Großvater in eben jenem Haus reparierte.
Ralf Hügle will der Taubenstraße auch weiterhin die Treue halten. Besonders jetzt, wo alles überstanden ist und sich die Stammkunden von Abrissbaggern und Staub nicht abschrecken ließen. "Einige haben allerdings gefragt, ob wir auch mit abgerissen wurden", lacht er. Andere wundern sich, dass der Kameraprofi mit seinem Geschäft nicht in die Innenstadt zieht. "Warum?", kann Hügle da nur fragen. "Ich schau mir die Parkplatznot im Zentrum an und andere Widrigkeiten. Das gibt es hier nicht. Bei mir kann der Kunde vor der Tür parken."
Ohnehin lebt Ralf Hügles Laden nicht von der Laufkundschaft. Wer geht schon mit einer kaputten Kamera schlenkern? Wer in die Taubenstraße kommt, ist Stammkundschaft oder hat den Weg dorthin über das Internet gefunden. "Das ist wirklich segensreich", sagt Hügle, der seit letztem Dezember seine Internetpräsenz kameraspezi.de am Laufen hat. Die bringt ihm Kunden aus Halle, Leipzig, Magdeburg und Beelitz und sogar bundesweit, denn wenn es um die Reparatur von analogen oder digitalen Kameras geht, muss man heute schließlich nicht mehr selbst im Geschäft vorbei schauen, sondern kann das über den Postweg erledigen.
Hin und wieder, das gibt der Geschäftsmann zu, wundern sich die Kunden von auswärts freilich über das Umfeld des Geschäftes. Aber Hügle kann der Trostlosigkeit rundum nur gute Seiten abgewinnen. "Mich freut es, dass es jetzt hier rundum sauberer wirkt", sagt er. Als die leergezogenen Häuser noch standen, sei das schließlich kein schöner Anblick gewesen. Jetzt würden eigentlich nur noch die ruinösen Garagen stören, die stehen gelassen wurden. Hügle und die wenigen Dessauer, die noch in der Taubenstraße wohnen, hoffen, dass die derzeitige Situation nicht der Endpunkt für das Viertel ist. Dürfte sich Ralf Hügle etwas wünschen, dann wäre das ein Park auf den jetzt freien Flächen. "Viel Grün gibt es hier ja wirklich nicht", findet er.