IHK-Fördermittelaffäre Dessau IHK-Fördermittelaffäre Dessau: Anklage wegen Subventionsbetrugs in Millionenhöhe

Halle (Saale) - Nach einer halben Stunde ist für Staatsanwalt Albrecht Wetzig an diesem Mittwoch im Saal 96 des Landgerichtes Halle endlich die Erlösung gekommen - und das in Form eines Schlucks Wasser aus einer Plastikflasche. „Es sind halt doch einige Worte zu verlieren“, erklärte er mit ausgetrocknetem Mund und bedankte sich bei der Vorsitzenden Richterin für die kurze Pause.
Letztlich dauert es fast zwei Stunden, bis in einem weiteren Prozess zur Dessauer Fördermittelaffäre die Anklageschrift verlesen ist.
Auf 23 eng beschriebenen Seiten listet der Staatsanwalt die Vorwürfe gegen einen früheren Regionalbereichsleiters des Dessauer IHK Bildungszentrums, eine seiner damaligen Mitarbeiterinnen und den Geschäftsführer mehrerer Baufirmen auf. Es geht um Subventionsbetrug in 24 Fällen.
Angeklagte im Dessauer Fördermittelprozess sollen sich Gelder der Europäischen Union erschlichen haben
Mit falschen Angaben sollen die Angeklagten zwischen 2004 und 2008 Fördermittel aus dem Europäischen Sozialfonds von mehr als fünf Millionen Euro erlangt haben. Das Geld war für die Qualifizierung von Mitarbeitern kleinerer Unternehmen beantragt worden. Die Fördermittel seien dann aber zwischen den Angeklagten und mehreren Bildungsträgern aufgeteilt worden.
Bereits im Mai 2016 hat das Landgericht Halle eine Beschuldigte wegen Subventionsbetruges in neun Fällen zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt.
Der Staatsanwalt spricht von einem „gemeinsamen Bandenvorsatz“. Die Qualifizierung der Mitarbeiter sei „zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt gewesen“. Um an die Mittel zu kommen, seien „Scheinangebote“ eingeholt worden, mit denen aus seiner Sicht nur die schon vorher vereinbarte Auswahl und Vergabe der Aufträge gerechtfertigt werden sollte.
Zudem seien bewusst falsche Angaben gemacht worden. So wurden laut Anklage unter anderem gefälschte Teilnehmerlisten eingereicht.
An dem System beteiligt war ein Netzwerk von Firmen und Akteuren, das sich die Aufträge aufgeteilt und zugeschoben hat. Die Schlüsselfigur ist aus Sicht von Wetzig der von der IHK 2007 entlassene Regionalbereichsleiter Dietmar B. Anträge und Verwendungsnachweise für die Fördermittel seien „nach Vorgaben Bs.“ erstellt worden.
Der Verteidiger des 55-Jährigen verwies in einer Erklärung auf das Vier-Augen-Prinzip bei der IHK. Demnach habe sein Mandant niemals eigenständig und selbstständig agieren können. Für die Kontrolle seien zwei Geschäftsführer sowie ein Beirat verantwortlich gewesen.
Daher sei es „skandalös“, dass der damalige IHK-Hauptgeschäftsführer Peter Heimann nicht als Zeuge im Ermittlungsverfahren vernommen worden sei. „Und das schreiben sie sich auch ruhig in ihr Oktavheft“, sagte der Verteidiger an die Adresse des Staatsanwaltes.
Angeklagter in Dessauer Fördermittelaffäre soll aus der Schusslinie genommen werden
Doch auch in der Angelegenheit selbst versuchte der Verteidiger, Dietmar B. am ersten Verhandlungstag gleich aus der Schusslinie zu nehmen. „Mein Mandant hat zu keinem Zeitpunkt selbst einen Fördermittelantrag gestellt.“
Stattdessen habe er nur die Vollständigkeit, nicht jedoch die Richtigkeit der Angaben der Antragsteller überprüft. In der IHK habe aber offenbar „umfassende Ahnungslosigkeit“ geherrscht.
Für den Prozess sind bereits Termine bis April 2017 geblockt. Doch die Vorsitzende Richterin Ursula Mertens versucht gleich zu Beginn auszuloten, ob es möglich ist, das Verfahren zu verkürzen. Dafür bittet sie Staatsanwalt und Verteidiger zum Gespräch hinter verschlossenen Türen - ohne Angeklagte, ohne Medien, ohne Öffentlichkeit. Eine halbe Stunde später verkündet sie das Ergebnis - offenbar sind sich die Beteiligten nicht näher gekommen.
Bs. Verteidiger will einen Freispruch erreichen, die Anwälte seiner früheren Mitarbeiterin und des Firmen-Geschäftsführers haben Bewährungsstrafen für ihre Mandanten angeregt. Doch die kann sich der Staatsanwalt für keinen der Angeklagten vorstellen.
Der Prozess wird am nächsten Montag fortgesetzt. Für den Tag hat Bs. ehemalige Mitarbeiterin bereits eine dreistündige Erklärung angekündigt - sicher wieder mit Trinkpausen. (mz)