Hochwasser in Dessau-Roßlau Hochwasser in Dessau-Roßlau: Mulde steigt höher als 2002
Dessau-Rosslau/MZ - Die Stadt Dessau-Roßlau hat gestern am späten Abend begonnen, Kleutsch und Sollnitz zu evakuieren. Um 20 Uhr gab es in den beiden östlichen Vororten zwei Bürgerversammlungen, in denen der Katastrophenstab seine Entscheidung verkündete. Man erwarte einen Mulde-Pegel von 7,50 Meter - und damit 1,25 Meter mehr als beim Jahrhundert-Hochwasser 2002, bekamen die überraschten, aber gefassten Anwohner zu hören. Diese Pegel-Höhe sei mit operativen Mitteln nicht zu verteidigen. 22 Uhr fuhren in Kleutsch und Sollnitz Busse vor. In den Turnhallen am Akazienwäldchen und in der Ringstraße wurden erste Notquartiere eingerichtet.
Für die Evakuierung der mehreren hundert Menschen blieb nur eine Stunde, weil die Stadtverwaltung zeitgleich beschloss, ab 23 Uhr die Friedensbrücke und damit das östliche Eingangstor der Stadt komplett zu sperren. Das Hochwasser der Mulde hatte den ganzen Tag mit enormen Kräften gegen die marode Brücke gewirkt. Um 18 Uhr hatte Stadtsprecher Carsten Sauer eine Vollsperrung noch dementiert. Eineinhalb Stunden später ließen dramatisch gestiegene Pegel an der Mulde keine andere Wahl. Dessaus Osten ist damit vom Zentrum abgekoppelt. Da in Roßlau auch noch die Südstraße gesperrt ist und der Verkehr durch die Stadt geleitet wird, bleibt allein die Autobahn-Anschlussstelle Süd, um die Stadt weiter zu erreichen. Die Dessauer Verkehrsbetriebe werden einen Pendelverkehr einrichten. Pendler werden, nachdem sie die Brücke zu Fuß überquert haben, per Bus weiterbefördert.
Mit diesen Entscheidungen endete ein dramatischer Tag. Um 12.45 Uhr hatte Oberbürgermeister Klemens Koschig den Katastrophenfall für Dessau-Roßlau ausgerufen. Grund waren besorgniserregende Hochwasservorhersagen - für Mulde, wo am Mittwoch gegen 9 Uhr der Scheitelpunkt erwartet wird, aber auch für die Elbe. Dort wird wahrscheinlich am heutigen Dienstagabend die Hochwasserwarnstufe IV ausgerufen. Am Bezugspegel im sächsischen Torgau ist dann die Acht-Meter-Marke erreicht. Etwa 24 Stunden später wird das Wasser dann in Dessau-Roßlau erwartet. Acht Meter sind aber noch längst nicht der Höchststand, mit dem in Torgau gerechnet wird.
„Die Prognosen überschlagen sich derzeit im Stundenrhythmus“, sagte Roland Schneider, Leiter des Amts für Katastrophenschutz in Dessau-Roßlau, am Nachmittag. So einen steilen Anstieg der Pegel habe noch keiner erlebt. Der Katastrophenschutzstab hatte gestern fünf Einsatzschwerpunkte festgelegt: Einer war der Sandsackfüllplatz auf der Alten Landebahn am Dessauer Flugplatz, wo seit gestern Morgen wieder Sandsäcke gefüllt werden. Aus dem Kieswerk Klieken kamen die ersten 200 Tonnen Sand. Weitere 1 200 bis 1 500 Tonnen sind bestellt. Freiwillige Helfer zum Sandsackbefüllen werden dringend gesucht. Dessau-Roßlau hat zudem überörtliche Hilfe aus dem Landkreis Wittenberg angefordert.
Andere kritische Stellen sind ein nicht sanierter Deichabschnitt zwischen der Wasserstadt und der B 185 entlang des Diepolds, ein Deichabschnitt in der Kreuzbergstraße, das Rossel-Schöpfwerk an der Roßlauer Wasserburg und die Ludwigshafener Straße. Am Schöpfwerk, auf dessen Bau Roßlau seit Jahren drängt, wurde begonnen, das Wasser der Rossel über die Straße zu pumpen. In der Ludwigshafener Straße sind vier Senken auszugleichen.
„Wir unternehmen alles, um das Hab und Gut unserer Bürger zu schützen“, versprach Dessau-Roßlaus Oberbürgermeister Klemens Koschig. Momentan sei die Situation aber nur schwer zu überblicken. Die Stadtratssitzung am Mittwoch, 16 Uhr, soll vorerst stattfinden. „Wir wollen diese nutzen, die Stadträte und Bürger zu informieren.“ Ob die Sitzung regulär fortgesetzt werde, müsse vor Ort entschieden werden. Da sich am Mittwoch die Scheitel von Elbe und Mulde angekündigt haben, scheint das unwahrscheinlich.