Hochwasser 2002 Hochwasser 2002: Vier Millionen Sack Hoffnung in Dessau
Dessau/MZ. - Als das Telefon klingelte, saß Daniel Freyer-Gottschalk gerade beim Frühstück am Balaton in Ungarn. "Es wäre schön, wenn Du so schnell wie möglich herkommst", sagte Mathias Weber am anderen Ende der Leitung. Der Ortsbeauftragte des Technischen Hilfswerks Dessau wollte seinen Stellvertreter bei sich haben.
Die Flut kam auf Dessau zu. Das THW brauchte jeden Mann. Auch Daniel Freyer-Gottschalk. Drei Tage lang hatte er zuvor im Fernsehen die dramatischen Ereignisse in Mitteldeutschland verfolgt. Nun war es Zeit heimzukehren. Doch als der heute 40-Jährige in sein Auto stieg und sich nach nur drei Tagen Urlaub zurück auf den Weg nach Dessau machte, konnte er noch nicht ahnen, was ihn erwarten würde: Der größte und wichtigste Einsatz in der Geschichte des THW Dessau.
110 Mitglieder
Als Freyer-Gottschalk nach zehn Stunden Fahrt auf dem Gelände des THW an der Alten Landebahn ankam, waren seine Kollegen zusammen mit der Feuerwehr schon eifrig dabei, im Drei-Schicht-Betrieb Sandsäcke zu befüllen - das Dessauer THW war während der Flut ausschließlich dafür im Einsatz. "In den ersten Tagen waren etwa 30 Mann pro Schicht im Einsatz. Doch schnell wurde deutlich, dass wir damit nicht weit kommen würden" erinnert er sich.
Das THW Dessau, das 1992 gegründet wurde und damals über 110 Mitglieder verfügte, brauchte aber nicht lange auf Unterstützung warten. Während der Landesverband des THW seine Mitarbeiter schickte, kamen Tag für Tag immer mehr freiwillige Helfer auf das Gelände des THW, um beim Befüllen und Transportieren der Sandsäcke behilflich zu sein. "Es war unglaublich, was man in diesen Zeiten für eine Kraft und Entschlossenheit spürte", erzählt Freyer-Gottschalk. Zu Spitzenzeiten waren bis zu 4 000 Helfer auf dem Gelände.
Das Koordinieren von so vielen Helfern stellte die Verantwortlichen vor ganz neue Herausforderungen. "Zum einen mussten wir uns um die Vor-Ort-Versorgung und Unterbringung der Kollegen kümmern, zum anderen waren wir stark damit beschäftigt, die vielen Helfer einzusetzen und zu koordinieren."
Doch das waren bei weitem nicht die einzigen Probleme. Es mussten Wege für die ständig ankommenden Sandtransporter geschaffen werden, genügend Flächen zum Abladen entstehen - und die Sandsäcke aus dem Dessauer Katastrophenschutzlager waren auch schnell aufgebraucht. Der Nachschub kam anfangs aus dem gesamten Bundesgebiet - und später sogar aus Übersee. So wurden brasilianische Kaffeesäcke in Dessau mit Sand befüllt, um danach an den Deich transportiert zu werden.
Keine Verletzten
Zu Spitzenzeiten haben an einem Tag bis zu vier Millionen Sandsäcke das Gelände des THW verlassen. Und jeder einzelne musste per Hand gefüllt werden. "Da ist es auch ein kleines Wunder, dass bei dieser großen Anzahl von Personen niemand verletzt wurde.
Schon als Wehrersatzdienstleistender hatte Freyer-Gottschalk einst beim THW begonnen, seit sieben Jahren ist er Ortsbeauftragter. Im Moment verfügt sein Stab über rund 80 Mitarbeiter, die alle auf ehrenamtlicher Basis für das THW tätig sind. An das Ereignis vor zehn Jahren denkt Freyer-Gottschalk oft zurück. In Ungarn ist er seitdem nicht wieder gewesen - bis zu diesem Wochenende. Am Sonnabend geht es wieder an das Nordufer des Balaton zum Urlaub. Und der Blick auf die stabilen Pegelstände lässt ihn beruhigt seine Koffer packen.
Lesen Sie am Freitag: Dramatik im Dessau-Wörlitzer Gartenreich.