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Historie Heinrichshaus Historie Heinrichshaus: Einst Rettungshaus für Verwahrloste

Von Katrin Löwe 03.07.2003, 16:30

Halle/MZ. - 1853 wurde das Heinrichshaus durch Herzogin Auguste, die Witwe des letzten Köthener Herzogs Heinrich, als "Knabenrettungshaus der Heinrichsstiftung zu Großpaschleben" gegründet. Genauer gesagt als Anstalt zur "Rettung und Behütung von verwahrlosten oder in Gefahr der Verwahrlosung stehenden Knaben", wie es in einer Chronik zum 50-jährigen Bestehen des Hauses heißt. Die Herzogin, die u.a. 1851 die Kinderbewahranstalt in der Köthener Leopoldstraße gegründet hatte, sprach 1847 bereits von einer "Heinrichsstiftung", als es um die Verwendung des Geldes ging, das ihr zwei Wochen zuvor verstorbener Mann ihr hinterlassen hatte. Ein Teil davon sollte der Instandsetzung der Agnuskirche dienen, weiteres Geld als Förderung für zwei "besonders befähigte" Studenten, für die Unterstützung von Armen usw. Später wurden folgende Zahlen veröffentlicht: 5000 Taler für die Kirche, 7082 Taler und 22 Silbergroschen zur Begründung einer Kleinkinder-Verwahranstalt, 2000 Taler zur Begründung eines Rettungshauses für verwahrloste Kinder. Der Betrieb von letzteren beiden wiederum und anderen "milden und gemeinnützigen Instituten" sollte finanziell aus Zinsen unterstützt werden.

Bereits im Frühjahr 1852 wurde in Großpaschleben für 6000 Taler ein Gehöft gekauft - mit Wohnhaus, Hof, Wirtschaftsgebäuden und anderthalb Morgen Gartenfläche. Die Erziehungsaufgabe bei den hier zunächst bis zu 30 aufgenommenen Knaben im Alter zwischen 5 und 15 Jahren wurde im Statut wie folgt beschrieben: "Dieser Zweck wird zu erreichen gestrebt durch eine ernste und doch liebevolle Zucht, durch sorgfältige Beaufsichtigung, Einführung in das Wort Gottes und Gewöhnung zu einer regelmäßigen Tätigkeit. ,Bete und arbeite!' ist der Wahlspruch des Hauses." Für die Aufnahme galten später doch einige Kriterien. Zum Beispiel: "Blödsinnige, mit epileptischen Zufällen oder sonstigen langwierigen und unheilbaren Krankheiten behaftete, sowie verkrüppelte Kinder sind zur Aufnahme nicht geeignet", hieß es 1873 in einem zwischen der herzoglichen Landarmen-Direktion und dem Vorstand vom Heinrichshaus geschlossenen Vertrag über Aufnahmebedingungen.

Geleitet wurde das Heinrichshaus durch einen "Hausvater" und seine Frau - der erste war ein früherer Gärtner, der sich im Neinstedter Rettungshaus auf seinen Beruf vorbereitet hatte: Ludwig Wald, mit seiner 1854 geheirateten Frau Auguste. Seine Nachfolge trat von 1875 bis 1893 Heinrich Fricke mit seiner Frau Amalie an, den beiden folgte Adolf Grünberg. Grünberg war bereits als Gehilfe von Fricke im Heinrichshaus tätig gewesen, nachdem man bemerkt hatte, dass bei zunehmender Anzahl der Kinder "die Kraft des einen Hausvaters zur Besorgung des Unterrichts, der Aufsicht, der Erziehung und der Führung der Hausgeschäfte schon längst nicht mehr zugereicht", hat.

Freilich fehlte es durch die steigende Zahl der Kinder bald nicht nur an Personal, sondern vor allem an Platz. So wurde bereits 1860 der Bodenraum des Wohnhauses zu einem Schlafsaal umgebaut, zwei Jahre später gab es einen Anbau ans Haupthaus, in den folgenden Ausbesserungen am Wirtschaftsgebäude. 1877 wurde ein Nachbargrundstück mit Wohnhaus, Hintergebäuden, Garten und Acker dazugekauft. Kurz nach der Jahrhundertwende war mit Unterstützung der Herzoglichen Staatsregierung ein weiterer Neubau als Verlängerung des Seitenflügels möglich.

Garten und Acker ermöglichten einen Teil Selbstversorgung im Heinrichshaus - zumal neben dem Unterricht die Anregung zur Arbeit hier zu den wichtigsten Erziehungsmethoden zählte. Auf 16 Morgen Land gehörte dazu auch Viehwirtschaft, 1905 z.B. drei Kühe, eine Färse, ein Kalb, sechs Schweine und zahlreiche Hühner. Erweiterungsfähig, wie sich zeigte, denn im Jahresbericht für 1928 steht schon geschrieben: "Im Stall stehen z.Zt. 3 Milchkühe, 3 Färsen, 4 Schweine, 110 Hühner, 4 Gänse, 4 Enten. 13 Schweine und 1 Kuh haben wir geschlachtet." Geerntet wurden in diesem Jahr 825 Zentner Kartoffeln, 50 Zentner Roggen, 88 Zentner Gerste, 36 Zentner Hafer, 19 Zentner Weizen, 120 Zentner Futterrüben, 118 Zentner Zuckerrüben und 1150 Gurken. Zu dieser Zeit waren im Heinrichshaus 81 Kinder untergebracht. 700 Brote und 100 Zentner Kartoffeln wurden pro Monat selbst verbraucht.

Über die folgenden Jahre ist den im Heinrichshaus heute noch vorliegenden Unterlagen wenig zu entnehmen. "Die Erziehungsarbeit wurde auch in den Wirren des 2. Weltkrieges fortgesetzt. Zum Ende des Krieges wurde das Heinrichshaus als Lazarett, nach dem Krieg als Auffanglager für Flüchtlinge genutzt", heißt es in einem kurzen historischen Abriss. Zwischenzeitlich sei die Stiftung der Kirche übergeben worden - woraus sich nach den Ergebnissen des Volksaufstandes am 17. Juni 1953 die wohl wichtigste Änderung in der Geschichte des Heinrichshauses ergab. Da der Kirche "Erziehungsarbeit an gesunden Kindern und Jugendlichen verboten" wurde, sind ab diesem Zeitpunkt hier geistig behinderte Jugendliche untergebracht worden. 1954 lebten im Heinrichshaus 60 Pfleglinge, 15 bis 20 weitere waren in so genannten Privatfamilienpflegestellen untergebracht. "Die Arbeit an diesen Menschenkindern ist besonders schwer und aufopferungsvoll", schrieb der damalige Hausvater Artur Häusler im Jahresbericht. Zugleich würden die Insassen aber auch "kindliche Freude, grenzenlose Geduld, Dankbarkeit und unzerbrechliche Hoffnung" lehren.

Von 1956 bis 1979 stand das Heinrichshaus dann unter Leitung von Diakon Heinz Stumpe, der sich in seinen Erinnerungen u.a. auf die Arbeit für die Heimbewohner bezog - die eigene Landwirtschaft im Übrigen wurde Mitte der siebziger Jahre zu Gunsten von Um- und Neubauten aufgegeben. Der Beginn der Beschäftigung von zuvor in Pflegefamilien untergebrachten Heimbewohnern in einheimischen Betrieben lag bei der Firma Bienert - Fisch und Feinkost - in Köthen. "Damit die Arbeitskräfte zum Entladen von Waggons nicht aus der Produktion abgezogen werden brauchten, trafen wir eine ,Vereinbarung', dass in einer solchen Situation von uns 5-10 Heimbewohner gestellt werden", schrieb Stumpe später auf. "Aus diesen Anfängen entstanden - mehrere Jahre bevor in der DDR die gesetzlichen Bestimmungen erlassen wurden - Arbeitsvertragsregelungen für unsere Heimbewohner." Auch in anderen Betrieben übrigens, u.a. beim VEB Hausschuh Köthen, der Bäuerlichen Handelsgenossenschaft, im Krankenhaus, in der Molkerei, in der PGH Fleischer.

Im Jahre 1989 wurde in Großpaschleben das Richtfest für ein neues Bettenhaus gefeiert, das 38 weiteren Behinderten Platz bieten sollte - in der unteren Etage auch rollstuhlgerecht. Seitdem wurde in der ab 1997 unter Trägerschaft des Diakonischen Werkes im Kirchenkreis Dessau stehenden Einrichtung - die Stiftung als solche existiert nicht mehr - nach wie vor viel investiert. Das Heim platzte weiter aus allen Nähten, mehrfach wurden in den 90er Jahren Erweiterungen geplant. Derzeit läuft ein rund sechs Millionen Euro teures Bauvorhaben, zu dem u.a. ein Ersatz-Neubau, sanitäre Einrichtungen sowie die Sanierung und der Umbau vorhandener Gebäude zählen. Damit soll es u.a. möglich sein, auch in der Haupteinrichtung selbst Frauen aufzunehmen. Derzeit lebt hier nur eine behinderte Frau. Die Kapazität der Einrichtung, in der auch heute noch manche der 1953 aufgenommenen Bewohner leben, soll von 45 auf 50 Plätze steigen. Derzeit leben hier 46 Bewohner.