Hausexplosion in Zerbst Hausexplosion in Zerbst: Tod unter Trümmern

Zerbst/MZ. - Um 2.40 Uhr ist die Nacht in der Haselopstraße in Zerbst (Anhalt-Bitterfeld) zu Ende. Es ist ein ohrenbetäubender Lärm, der die Anwohner aus dem Schlaf reißt. Ein Lärm, so heißt es, der kilometerweit noch bis in ein Nachbardorf zu hören gewesen sei. Ein dreistöckiges Haus nahe des Zerbster Gymnasiums liegt nach einer Explosion in Schutt und Asche, die ganze Umgebung ist ein einziges Trümmerfeld. Ein Fotostudio neben dem Haus ist zerstört, der Inhaber weiß noch nicht, wie es weitergehen soll. Auf der Straße liegt ein Auto unter den Trümmern begraben, mindestens zehn weitere sind beschädigt. An Plattenbauten auf der anderen Straßenseite hat die Druckwelle Fensterscheiben bersten lassen. Dächer in direkter Umgebung hat sie angehoben, überall liegen Dachziegel. Vier Bewohner eines Nachbarhauses kommen laut Polizei noch rechtzeitig ins Freie. Vor allem ältere Anwohner fühlen sich sofort an das Grauen von 1945 erinnert. Auf den Tag genau vor 67 Jahren war Zerbst bombardiert worden, rund 80 Prozent der Stadt wurden damals zerstört.
Was genau die Detonation diesmal auslöste, ist noch unklar. Nahe liegt die Vermutung, dass es eine Gasexplosion war. Nach dem Einsturz sei Gasgeruch wahrgenommen worden, „die Gasleitung zum Haus wurde deshalb abgeklemmt“, sagt Polizeisprecherin Doreen Wendland. Später wird in der Umgebung auch der Strom abgestellt. Seit Stunden suchen Rettungskräfte da bereits nach einem 53-Jährigen, der unter den Trümmern vermutet wird.
53-Jähriger hatte Probleme
Siegfried M. war der einzige Bewohner und nach Angaben von Nachbarn auch Eigentümer des nach dem Krieg wieder hergerichteten Hauses. Er lebte direkt unter dem Dach, die Wohnungen darunter standen leer. M., erzählen Anwohner, sei ein Mann, der das Leben schon lange nicht mehr leicht nahm. Aufgewachsen bei Adoptiveltern und zunächst im Fuhrunternehmen des Vaters tätig, soll er nach dessen Tod als Kraftfahrer bei einer anderen Firma gearbeitet haben. Bis vor sieben Jahren etwa, dann habe er sich plötzlich zurückgezogen, selbst auf den Versuch seines Arbeitgebers, ihn zurückzuholen, nicht reagiert. Siegfried M. hatte zuletzt vermutlich Alkoholprobleme. Ein Bekannter erzählt Journalisten vor Ort, M. habe in ärmlichen Verhältnissen gelebt und sei zunehmend depressiv gewesen. Manche glauben, dass Strom und Wasser wegen unbezahlter Rechnungen schon abgestellt waren. „Dass das mal so ein Ende nehmen würde, hätte aber keiner gedacht“, heißt es.
Ob der Hartz-IV-Empfänger selbst Hand an die Gasleitung legte, ist noch unklar. Die Polizei ist mit Experten aus Dessau-Roßlau und der Tatortgruppe des Landeskriminalamts vor Ort, um parallel zur Suche nach dem Mann die Ursache der Explosion zu erforschen. Die Arbeit in den Trümmern aber ist schwierig. Schon am frühen Morgen ist auch die Rettungshundestaffel des Deutschen Rettungshundevereins aus Halle in Zerbst eingetroffen. Labrador Hugo und Schäferhund Cuba sollen den 53-Jährigen suchen. „Inzwischen wissen wir ziemlich genau, wo er nicht ist“, sagt Einsatzleiter Ralph Albrecht am späten Vormittag. Nicht ganz vorn im Haus. An einer Stelle weiter hinten hätten sich beide Hunde unabhängig voneinander auffällig verhalten. Bevor sie erneut suchen können, müssen Feuerwehr und Technisches Hilfswerk zum Teil per Bagger, zum Teil mit bloßen Händen Trümmer abtragen. Auch bei den nächsten Versuchen werden Hugo und Cuba an der gleichen Stelle unruhig. Um 17.05 Uhr, mehr als 14 Stunden nach der Explosion, wird dort eine männliche Leiche gefunden, vermutlich M.
Provisorische Reparaturen
In den Häusern der Umgebung laufen indes den ganzen Tag die ersten provisorischen Reparaturen. Fenster werden von einer Tischlereifirma mit Spanplatten notdürftig verschlossen. Den Bewohnern der Häuser ist der Schrecken der Nacht anzumerken. Erst war da der Knall, erzählt Ingrid Scherz. „Ich saß im Bett, dann flogen mir schon die Glasscheiben um die Ohren.“ Noch im Nachthemd sei sie in den Hausflur gerannt. „In dem Moment wissen Sie nicht, was sie denken sollen“, sagt sie. Erst als klar wird, dass der Explosionsort das Haus auf der anderen Straßenseite ist, trauen sich Scherz und ihre Nachbarn kurz zurück in die Wohnungen, um etwas anzuziehen. Seitdem sind sie draußen, an Schlaf ist nicht mehr zu denken. Auch bei Steffi Knopf nicht. Die Fenster ihrer Wohnung müssen erneuert werden - auf einer Seite sind sie geborsten, auf der anderen die Rahmen verzogen. Wenigstens dürfe sie wohnen bleiben, erzählt die Frau - ein Statiker hat sein Okay gegeben. Der Schaden, sagt der Geschäftsführer der Zerbster Wohnungsgesellschaft, der vier beschädigte Häuser gehören, lasse sich noch nicht ansatzweise schätzen.
Die Stadt Zerbst hat unterdessen ein Spendenkonto für Betroffene eingerichtet, mehrere Vereine wollen Benefizveranstaltungen organisieren. Kommunale Einrichtungen wie das nahe Museum müssten wegen der Schäden an Fenstern und Türen vorläufig geschlossen bleiben, teilt die Stadt am Abend auf ihrer Internetseite mit. An Normalität wird in Zerbst noch eine ganze Weile nicht zu denken sein.