Großauftrag für Stahlbau Großauftrag für Stahlbau: Dessau im Zeichen des Ypsilons
Dessau/MZ. - Reinhard Dammann spürte das Misstrauen, auf beiden Seiten. "Dessaus Oberbürgermeister konnte sich mit meinem Ansinnen gar nicht anfreunden." Dass Dammann, Geschäftsführer der Roßlauer Schiffswerft, den von der Schließung bedrohten Stahlbau Dessau kaufen wollte, fand anfangs wenig Anklang. "In Dessau dachten alle, ich kaufe Stahlbau, um es zu schließen." Klemens Koschig, dem Roßlauer Bürgermeister, erging es kaum anders - nur umgedreht. "Der dachte, ich kaufe Stahlbau Dessau, um dann die Roßlauer Schiffswerft zu schließen."
Eineinhalb Jahre später kann Dammann darüber nur schmunzeln. "Ihre Bedenken dürften abgebaut sein." Die Roßlauer Schiffswerft zählt heute 210 Beschäftigte, Stahlbau Dessau, inzwischen ein hundertprozentiges Tochterunternehmen, 120. Dass beide beruhigter in die Zukunft schauen können, dafür hat die ThyssenKrupp AG gesorgt: Der Essener Konzern vergab einen Großauftrag zur Produktion von Eisenbahnschwellen an Elbe und Mulde. "Danke für dieses Vertrauen", sagte Dammann bei der Inbetriebnahme einer zwei Millionen Euro teuren und neuen Fertigungsstrecke, die in der Halle in der Erich-Köckert-Straße zehn Arbeitsplätze schafft. Doch das Vertrauen ist hart erarbeitet.
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer und Dammann waren es, die zum Produktionsstart zwei weiße Knöpfe drückten und die Maschinen starteten. 30 000 Bahnschwellen wurden bislang in Roßlau hergestellt. Seit 1999 existiert dort eine Fertigungsstrecke. 60 000 weitere sollen nun in Dessau hergestellt werden. "Wir haben beste Erfahrungen in der Zusammenarbeit gemacht", lobte Reinhard Quint. Den 17. Oktober rief der eigens angereiste stellvertretende Vorsitzende von ThyssenKrupp zum "Tag im Zeichen des Ypsilons" aus. Grund dafür ist die besondere Form der Dessau-Roßlauer Bahnschwellen: Zwei geschwungen Stahlschienen werden so verbunden, dass diese wie ein Ypsilon aussehen.
1984 wurde die erste Y-Schwelle montiert, doch erst jetzt steht diese vor dem Durchbruch. "Diese ist allen herkömmlichen Schwellen in allen Belangen überlegen", sagte Quint. Die Y-Schwelle ist leichter zu verlegen, hat eine längere Lebensdauer, hilft durch eine geringere Höhe, Schotter zu sparen, und ist sogar noch recyclingfähig. "Anfangs war die Skepsis groß", erinnerte Quint an die Widerstände "bewegungsresistenter Techniker". Doch das legt sich langsam.
Fünf Prozent aller Schwellen haben inzwischen die Form eines Ypsilons. Die Deutsche Bahn AG nimmt Schwellen ab, aber auch private Eisenbahngesellschaften in der Schweiz, Spanien und Portugal. Gut 120 000 bis 130 000 Schwellen werden jedes Jahr gebraucht, die Tendenz ist steigend. 90 000 dieser Y-Schwellen kommen künftig aus Dessau und Roßlau. "Weil Qualität, Zuverlässigkeit und Lieferpünktlichkeit stimmen", stellte Quint fest und deutete einen Ausbau der Partnerschaft an: Im Januar 2003 soll am Stahlbau-Standort Dessau eine Kaltprofilierungsanlage ihre Produktion aufnehmen. "Die Entscheidung ist gefallen", sagte Quint. Gut sind auch die Chancen, in Dessau eine weitere Fertigungslinie für den Y-Schwellen-Bau zu errichten. "Das wird wahrscheinlich hier passieren." Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Böhmer konnte ob solcher Erfolgsmeldungen nur staunen. "Wir brauchen solche Meldungen, um uns Mut zu machen", sagte Böhmer, "dankbar für jedes kleine Pflänzchen". Unternehmer in Sachsen-Anhalt müssten sich innovative Nischen suchen, um bestehen zu können. Die Y-Schwelle, "ohne das ich davon Ahnung habe", scheine so eine Nische zu sein.
"Beide Betriebe sind gut ausgelastet", sagte Dammann. Mit Brückenbauten haben sich die Roßlauer Schiffswerft und Stahlbau Dessau einen guten Namen gemacht, jetzt auch mit Y-Schwellen. "Wir sind stolz, diesen anspruchsvollen Auftrag erhalten zu haben."