Geheimnisvolle Briefe Geheimnisvolle Briefe: Unbekannter Weihnachtsengel verzaubert Adriasiedlung

Mildensee - Malgorzata „Goschi“ Schwarz (42) und Katrin Schlote (40) nehmen die anonymen Weihnachtsbriefe genau unter die Lupe.
„Was man schon auf den ersten Blick sehen kann: Sie sind in liebevoller Handarbeit entstanden“, sagt eine der beiden Frauen. „Dennoch gibt es keinen Hinweis darauf, wer sie geschrieben hat“, meint die andere.
Weihnachtsbriefe tauchten im vorigen Jahr das erste Mal auf
Um zu verstehen, warum Goschi Schwarz und Katrin Schlote unterschiedliche Briefe vor sich auf dem Küchentisch liegen haben und nun akribisch miteinander vergleichen, muss man folgendes wissen: Bereits im vergangenen Jahr steckte ein Unbekannter oder eine Unbekannte in der Vorweihnachtszeit selbst gestaltete und selbst geschriebene Weihnachtspost in jeden Briefkasten der Adriasiedlung in Dessau-Mildensee. Auch in diesem Jahr war der briefeschreibende Weihnachtsengel wieder in dem Ortsteil, der unter den 101 Einwohnern nur „Adriana“ genannt wird, unterwegs und hat jeden Haushalt mit zu Papier gebrachten Zeichnungen, Versen und Glückwünschen beschenkt.
„Wir haben bislang wirklich keine Ahnung, wer sich hinter dieser gelungenen Überraschung verbirgt, wollen nun aber herausfinden, bei wem wir uns bedanken können“, sagt Goschi Schwarz. „Denn mit den Briefen wird für uns alle die schönste Zeit des Jahres eingeläutet“, sagt Katrin Schlote und meint: „Die meisten Einwohner in der Siedlung haben die Schriftstücke rund um den ersten Advent im Postkasten gehabt. Aber niemand hat gesehen, wer sie da hinein getan hat.“ Daher suche man jetzt nach Hinweisen.
In den Briefen offenbaren sich viele kleine Details, die Rückschlüsse zulassen
Während die Weihnachtskarten beim flüchtigen Blick ähnlich zu sein scheinen, offenbaren sich beim genaueren Hinsehen viele unterschiedliche - und vielleicht auch verräterische - Details. Denn da sind zum einen die Briefpapiere und -umschläge.
„Jemand hat sich ganz offensichtlich die Mühe gemacht, unterschiedliche Weihnachtsmotive aus Geschenkpapier oder Zeitschriften herauszusuchen, auszuschneiden und dann aufzukleben“, stellt Goschi Schwarz fest. „Schon das war eine immense Arbeit und hat sicherlich Stunden in Anspruch genommen, denn die Briefe sind dann alle noch mit Buntstiften bemalt worden“, sagt Katrin Schlote und meint: „Hinzu kommt der gestalterische Aufbau der handschriftlich verfassten Texte. Der erste Teil ist immer im Block-, der zweite in Schreibschrift geschrieben.“
Schriftbild der Briefe ist gleichmäßig und gut lesbar: Hat die Briefe eine Frau geschrieben?
Da das Schriftbild gleichmäßig und gut lesbar ist, sind sich Goschi Schwarz und Katrin Schlote ganz sicher, dass eine Frau die Weihnachtsbriefe verfasst hat. Geschätztes Alter? „50 plus“, meint die eine. „Mmh, die Druckbuchstaben ähneln eher der Schrift meiner Tochter“, überlegt die andere. Und so wird weiter gesucht und nun der inhaltliche Aufbau der Weihnachtspost kriminologisch genau analysiert.
„Gleich ist überall, dass auf allen Briefen ein Vers von bekannten oder unbekannten Dichtern steht“, sagt Goschi Schwarz und zitiert aus dem Schreiben, das sie, ihr Mann und die beiden Kinder bekommen haben. „Strahlend wie ein schöner Traum, steht vor uns der Weihnachtsbaum. Seht nur, wie sich goldenes Licht auf den zarten Kugeln bricht. ’Frohe Weihnacht’ klingt es leise und ein Stern geht auf die Reise.
Leuchtet hell vom Himmelszelt - hinunter auf die ganze Welt“, liest sie laut vor und meint: „Der untere Teil enthält dann immer eine persönliche Note.“ Im Fall von Goschi Schwarz steht beispielsweise geschrieben: „Wir wünschen Ihnen und Ihrer Familie eine schöne Adventszeit und frohe Weihnachten. Kommen Sie möglichst gut und ungestresst durch diese Zeit. Alles Liebe und Gute für das neue Jahr.“
Lässt ein "Wir" in den Brief auf mindestens zwei Verfasser schließen?
Goschi Schwarz hält kurz inne und wiederholt langsam: „Das ’Wir’ in den Briefen verrät einerseits, dass es mindestens zwei Verfasser sind. Das würde auch die unterschiedlichen Schriftbilder, also den Wechsel von Block- und Schreibschrift, erklären. Andererseits nehmen die Zeilen inhaltlich unmittelbar Bezug auf unser Leben.“ Während man ihr beispielsweise wünscht, dass der hektische Alltag nicht so stressig ausfällt, wird einer anderen Nachbarin, die einige Wehwehchen hatte, viel Gesundheit gewünscht.
„Diese persönliche Anrede bedeutet, dass die anonymen Verfasser uns und unser Leben gut kennen. Sie können daher eigentlich nur aus der Adriasiedlung sein“, schlussfolgert Katrin Schlote. Allerdings, so meint Goschi Schwarz, sei die Anzahl der Menschen, die in Frage kommen, überschaubar und im „Adriachat“, eine virtuelle Gemeinschaft, der viele Einwohner beigetreten sind und in der man sich über Smartphone austauscht, hat sich bislang keiner zu erkennen gegeben.
„Alle, die auf die Nachfrage, wer denn die geheimnisvollen Verfasser sein könnten, reagierten, haben selbst so einen Brief erhalten, ihn fotografiert und in das Forum gestellt.“ Doch was heißt das nun? „Wir wissen es wirklich nicht“, sagt Katrin Schlote und meint augenzwinkernd: „Vielleicht gibt es ja doch einen Weihnachtsengel.“ (mz)
