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FlüchtlingsschicksalFlüchtlingsschicksal: Syrischer Kameramann will in Dessau von vorn anfangen

Dessau-Roßlau - Mit der Kamera unterwegs sein. Das gefilmte Material anschließend schneiden und einen fertigen Beitrag daraus machen, der über den Sender gehen kann. All das fühlt sich für Ghassan Bakir wieder normal an. Fünf Jahre lang hat der 37-Jährige aus dem syrischen Homs diese Normalität ...

Von Danny Gitter 14.06.2016, 12:36

Mit der Kamera unterwegs sein. Das gefilmte Material anschließend schneiden und einen fertigen Beitrag daraus machen, der über den Sender gehen kann. All das fühlt sich für Ghassan Bakir wieder normal an. Fünf Jahre lang hat der 37-Jährige aus dem syrischen Homs diese Normalität vermisst.

Seit dem 1. Mai unterstützt der Kameramann als Bundesfreiwilliger die Arbeit des Offenen Kanals in Dessau. Ein Jahr lang wird seine Stelle über ein Sonderprogramm der Flüchtlingshilfe finanziert. „Das ist ein Glücksfall und gibt mir wieder ein bisschen Hoffnung“, sagt der Syrer. Hier in Dessau will Bakir endlich wieder zur Ruhe kommen und ein normales Leben führen, so wie er es bis 2011 in seiner Heimat gewohnt war.

Aufgewachsen rund um das syrische Homs, hat Bakir nach dem Abitur Arabisch studiert. Bei einem Radiosender sammelte er erste Berufserfahrung. Doch er will nicht nur, dass die Leute seine Beiträge hören, sondern auch sehen. Als Kameramann macht der heute 37-Jährige Karriere bei dem privaten syrischen Nachrichtensender „Adounia TV“. Er baut ein Haus, gründet eine Familie. Seine zwei Söhne, heute elf und zwölf Jahre alt, werden geboren.

Flucht vor Folter der Polizei

Das Glück scheint auf seiner Seite, bis zu jenen verhängnisvollen Wochen im Jahr 2011, als aus dem hoffnungsvollen arabischen Frühling in Syrien ein Bürgerkrieg wird. Bakir filmt Dinge, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Die Polizei nimmt ihm das Material weg. Bakir steht fortan unter strenger Beobachtung. Seinen Beruf kann er kaum noch anständig ausüben. Mit einem Bein steht er fast immer im Gefängnis. Eh die Polizei ihn verhaften und foltern kann, flüchtet Bakir und rettet sich über den Libanon in die Türkei. Frau und Kinder lässt er zurück in der Hoffnung, dass er bald wieder nach Hause kommen kann und der Ausnahmezustand ein Ende finden wird.

Doch aus Wochen werden Monate. Aus Monaten werden Jahre. Nach Griechenland zieht Bakir weiter. Schweden, wo ein Cousin lebt, ist das Ziel. Über die Balkanroute will er vor vier Jahren dorthin kommen. Doch die ist gefährlich, wie er am eigenen Leib erfahren muss. 25 Tage geht es für ihn zwischen Mazedonien und Serbien nicht vor und zurück. Humanitäre Hilfe wie heute gibt es dort im Jahr 2012 kaum.

Zwei Jahre Angst um die Familie

„Um zu überleben habe ich mich von Regenwasser und dem ernährt, was der Wald so hergibt“, schildert Bakir. Dann wird er durchgelassen nach Ungarn, wo ihn die Polizei aufgreift, ins Gefängnis steckt, misshandelt und nach Österreich weiterschickt. Von dort aus geht es 2013 nach ein paar Monaten endlich nach Schweden.

Doch von Integration keine Spur. Wegen des Dublin-Verfahrens wird er dort geduldet, aber nicht anerkannt als Asylbewerber. Zwei Jahre Warteschleife, zwei Jahre Frustration und zwei Jahre Angst um die Familie. In den Nachrichten sieht er, wie eine Autobombe die Schule seiner Söhne zerstört. Sie bleiben glücklicherweise unverletzt, wie er in einem Telefonat mit seiner Frau erfährt.

Schweden will ihn irgendwann loswerden, nach Ungarn oder Griechenland zurückschicken. Doch t im Sommer 2015 setzt Deutschland das Dublin-Verfahren für Syrer außer Kraft. Bakir fährt nach Deutschland. Über Halberstadt geht es nach Dessau. Eine Wohnung bekommt Bakir, aber erst einmal keinen Sprach- und Integrationskurs. Der startet dann im Januar. Er darf an der Inlingua-Sprachschule endlich Deutsch lernen. Klaus Meier, sein Sprachlehrer und Stadtrat der Bürgerliste, verhalf ihm zur Stelle beim Offenen Kanal und auch zu einem Kleingarten in der Kühnauer Straße.

Erklärfilme geplant

Das größte Glück aber ist es für den Syrer, nach Jahren der Trennung im März endlich seine Familie wieder bei sich zu haben. „So schnell wie möglich wollen wir gute Deutsche werden“, sagt Bakir. Wie das geht, will er beim Offenen Kanal in Dessau in Erklärfilmen auch anderen Flüchtlingen zeigen. Denn Deutschland soll seine neue Heimat werden. „Selbst wenn der Krieg in Syrien bald vorbei wäre, was ich stark bezweifle, dann würden wir bei absolut Null anfangen“, sagt Bakir. „Unser Haus ist zerstört. Arbeit hätten wir keine und die Kinder kaum eine Perspektive.“ In Dessau gibt es die schon. (mz)