Ex-Dessauer in Ecuador Ex-Dessauer in Ecuador: "Leute haben andere Sorgen als sich über Masken zu ärgern"

Quito/Dessau - Die Bilder der Leichen auf den Straßen in der ecuadorianischen Hafenstadt Guayaquil gingen um die Welt. Mitte April war das Land der Corona-Hotspot Lateinamerikas - und vier Dessauer mittendrin.
Mit seiner Frau Sandra und den gemeinsamen Kindern Luke und Lara lebt der gebürtige Dessauer Ralf Biebeler seit 2018 in Ecuador, in einem Tal nahe der Hauptstadt Quito. Noch immer hat die Pandemie das Land fest im Griff und die deutsche Familie kämpft für eine Lehrerkollegin, die nach einer Corona-Infektion ins künstliche Koma fiel.
„Wenn du in einen Supermarkt willst, wirst du eingesprüht“
Nach dem rasanten Anstieg der Infektionszahlen im Frühjahr verhängte Ecuador strenge Hygieneregeln: Darunter Ausgangssperren und eine strikte Maskenpflicht im gesamten öffentlichen Raum.
„Die sind hier viel krasser als Deutschland“, berichtet Ralf Biebeler noch etwas verschlafen per Videoschalte. Es ist 6 Uhr morgens ecuadorianischer Zeit. Die Zeitverschiebung beträgt sieben Stunden. „Wenn du hier in einen Supermarkt willst, wirst du erst einmal von oben bis unten mit Desinfektionsmittel eingesprüht“, so der 38-Jährige. Sogar Autoreifen würden desinfiziert.
Hohe Sterblichkeitsrate, weiter steigende Infektionszahlen - Ecuador ist Risikogebiet
Dank der Maßnahmen habe das Land die Epidemie aktuell unter Kontrolle, so Biebeler. Doch noch immer wird Ecuador vom Robert-Koch-Institut als Risikogebiet eingestuft. Das mag auch daran liegen, dass das Land laut der Webseite worldometers noch Anfang September zwischen 1.000 und 2.000 Neuinfektionen pro Tag zu verzeichnen hatte. Bei rund 17 Millionen Einwohnern ist das viel. Noch dazu ist die Sterblichkeitsrate hoch.
Dass sich das Infektionsgeschehen trotz strenger Regeln nicht ganz eindämmen lässt, erklärt Ralf Biebeler mit der verbreiteten Armut im Land. Die Armen würden eng zusammen leben. Und da viele ihren Lebensunterhalt als Straßenverkäufer bestreiten müssten, könnten sie Kontakte schlecht vermeiden. Deshalb seien auch bestimmte Viertel in Quito nach wie vor stark betroffen von Corona.
Die Dessauer sind im Auftrag der Bundesregierung in Ecuador.
In einem permanenten Angstzustand leben die Biebelers dennoch nicht. „Unser Lebensstandard ist nicht mit dem zu vergleichen, was hier normal ist. Wir können uns streng an alle Regeln halten und haben die Möglichkeit, Zuhause zu bleiben.“
Die Dessauer sind im Auftrag der Bundesregierung in Ecuador. Denn Sandra Biebeler wurde von Deutschland als Lehrerin an der Deutschen Schule in Quito entsandt. Sie unterrichtet Mathematik und Englisch. Ralf Biebeler betreut von Südamerika aus das Marketing für seine Heidelberger Filmfirma.
Das Paar kennt sich schon lange. In Dessau haben Ralf und Sandra im Jahr 2000 beziehungsweise 2003 am Liborius Gymnasium ihr Abitur gemacht. In Heidelberg trafen sich die beiden wieder, wo er seine Firma gegründet hatte und sie studierte. Schon 2007 folgte für Sandra Biebeler eine Station an einer Deutschen Schule in Südafrika.
Ecuadorianische Gesellschaft eher verschlossen für Fremde
Seit 2018 ist Ecuador ihr Zuhause. Die Familie schätzt das Leben in der gut 2.400 Meter hoch gelegenen Hauptstadt. Das Klima sei toll und das Land biete eine große Vielfalt. Durch die Lage Quitos in den Anden müsse man nicht weit fahren, um sich einen spektakulären Wasserfall oder Berg anzusehen.
„Zwei Stunden Fahrt und wir stehen im dichtesten Dschungel des Amazonas. Sechs Stunden und wir sind am Pazifik.“ Leider sei die ecuadorianische Gesellschaft eher verschlossen. „Deshalb leben wir schon in einer deutschen Blase“, gibt Biebeler zu. Die deutschsprachige Community sei groß.
Was der gebürtige Dessauer in Corona-Zeiten an der ecuadorianischen Mentalität schätzt, ist, dass es anders als in Deutschland keine Debatte um die Sinnhaftigkeit der Corona-Maßnahmen gebe. „Die Leute haben hier einfach andere Sorgen, als sich über Masken zu ärgern.“
80.000 Dollar für Krankenhausrechnung - Lehrerkollegin schwer erkrankt
Was ihn dagegen stört, ist, dass eine Rückkehr zum Präsenzunterricht an den Schulen in Ecuador derzeit nicht einmal diskutiert wird. Stattdessen werden der siebjährige Luke und selbst schon die vierjährige Lara in drei bis vier Videokonferenzen am Tag unterrichtet. „Aber Kinder brauchen die Schule auch zum Rumrennen und Bewegen“, findet Biebeler.
Dass jedoch auch Gründe für den Heimunterricht sprechen, zeigt der Fall einer Kollegin von Sandra Biebeler an der Deutschen Schule. Die Ecuadorianerin Katya Tapia unterrichtet Spanisch, Sachkunde und Mathematik. Nachdem schon ihr Bruder an Covid-19 verstarb, steckte auch sie sich Anfang August mit dem Virus an.
Die Krankheit nahm einen so schweren Verlauf, dass sie mehrere Wochen ins künstliche Koma versetzt werden musste. Zwar ist die Mutter von Zwillingen inzwischen erwacht und Zuhause. Für ihre Behandlung sind jedoch 80.000 US-Dollar (offizielle Währung in Ecuador) angefallen. Zu viel für die Familie.
Ex-Dessauer beteiligen sich an Spendenaktion für Lehrerin
Während die medizinische Versorgung vergleichbar mit Deutschland sei, gebe es in Ecuador aber kein so leistungsfähiges Versicherungssystem, erklärt Ralf Biebeler. „Die Versicherung trägt von der Rechnung nur 50.000 Dollar.“ Um den Spendenaufruf von Katya Tapias Familie zu unterstützen, haben die Ex-Dessauer den Entschluss gefasst, mit ihrer Geschichte in der alten Heimat um Spender zu werben.
Die Biebelers planen, noch bis 2023 in Ecuador zu bleiben. Danach will die Familie zurück nach Deutschland. Nicht nach Dessau, wo noch Eltern, Großeltern und Freunde leben, sondern nach Heidelberg, wo sie zuletzt ihren Lebensmittelpunkt hatten. (mz)
››Spendenkonto für Katya Tapia:
AEACE - Deutsche Schule Quito;
IBAN: DE58 1004 0000 0251 1244 00;
Verwendungszweck: Spende Katya
Tapia; BIC: COBADEFFXXX;
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