"Fuck-Up-Night" Erste Fuck-Up-Night : Ehemalige Unternehmer berichten in Dessau von ihren Niederlagen

Dessau - Zwei Dinge hat sich Rainer Flohr geschworen: Nie wieder was mit Computern! Nie wieder was mit Einzelhandel! Mit beidem ist Flohr gründlich gescheitert. Kaum jemand gesteht gern Niederlagen ein.
Und oft genug wird geschäftliches Scheitern von außen mit Argwohn oder Häme bedacht. Dass aus dem Scheitern etwas zu lernen wäre, haben Dessauer Wirtschaftsjunioren erkannt und erstmals zu eine „Fuck-Up-Night“ - zu gut deutsch: Voll-verkackt-Nacht - eingeladen.
Ex-Unternehmer aus Leipzig erzählt von seinem Scheitern
Damit haben sie ein Konzept kopiert, das andernorts sich längst etabliert hat und neben Erkenntnisgewinn Unterhaltung bietet.
Rainer Flohr also. Der war in Leipzig tatsächlich mal eine große Nummer, wenn es um Computer ging, jemand, der mit seinem Geschäft „zur 48“ die großen Ketten zur Weißglut trieb. Am Mittwochabend steht er in der Gaststätte „Plan B“.
Ein Mann, der noch ein, zwei Jahre vor sich hat, bevor er aus der Privatinsolvenz heraus ist. Der das Auto gegen das Fahrrad getauscht hat, in einer bescheidenen Wohnung lebt, bei dem das Geld knapp ist. Und der so etwas wie der Star der ersten Dessauer „Fuck-Up-Night“ wird, wenn man die Zahl der Gästefragen und die Fallhöhe zum Maßstab nimmt.
Rainer Flohr gründete 1994 sein Unternehmen
Im Jahr 1994, da war er 22, startete Flohr mit seinem ersten Laden. 36 Quadratmeter in Markkleeberg, vollgestopft mit Computerspielen. Damals eine absolute Nische. Ein halbes Jahr später zieht er ein paar Häuser weiter, wo Platz auf 100 Quadratmetern ist.
Der Sommer ist heiß, niemand interessiert sich für Spiele, dafür finden Ventilatoren reißenden Absatz. Es gibt ein oder zwei weitere Meilensteine in der Geschichte der „zur 48“, bevor Flohr 2003 einen Laden in der Leipziger Baumwollspinnerei eröffnet. 3.000 Quadratmeter. Längst stehen nicht mehr Spiele im Mittelpunkt, sondern Hardware.
Flohrs Umsatz erreichte zeitweise 15 Millionen Euro
Mit cleveren Marketingkampagnen erringt Flohr Aufmerksamkeit und Kunden. Der Umsatz erreicht zeitweise 15 Millionen Euro. Eigentlich zu viel für einen eingetragenen Kaufmann, der im Falle der Pleite mit seinem gesamten Vermögen haftet.
Doch das Unternehmen in eine GmbH umzuwandeln, ging nicht mehr: „Die Banken und Lieferanten wären sofort stutzig geworden, wegen der damit verbunden Risikominimierung.“
Auch die Finanzkrise setzte dem leipziger Unternehmer zu
Flohr machte wie gehabt weiter, baute den Laden während des laufenden Betriebs um. „Damit begannen die Probleme.“ Man startete neu als Notebook-Laden, der in besten Zeiten 200 Modelle führte. Dann wurde die Straße zum Laden aufgerissen.
Zwei Jahre dauerten die Arbeiten. „Der Umsatz fiel schneller, als wir Kosten abbauen konnten.“ Dazu gesellte sich die Finanzkrise. „Es wurde ein langes Leiden über drei Jahre.“ Beendet hat Flohr es nicht selbst, sondern der Vermieter, der ihm 2012 kündigte.
20 Leute verloren ihren Job
„Im Nachhinein bin ich ihm dankbar. Es war ein Befreiungsschlag.“ Der aber mehr als 20 Leuten den Job kostete und ihn selbst das gesamte Vermögen.
Ein paar Monate brauchte Flohr zum Durchschnaufen, dann wusste er: „Ich muss mich weder verkriechen noch aufhängen.“ Ein Bekannter gab ihm einen Job, Flohr stieg ins Gastronomie- und Eventmarketing ein und stellte beruhigt fest: „Das ist eine langsame Branche, die nicht so schnell von der Digitalisierung betroffen sein wird.“
Aus dem Munde eines einstigen Computerverkäufers, klingt das wahlweise lustig oder weise. (mz)