1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Dessau-Roßlau
  6. >
  7. Ehemaliger Zwangsarbeiter: Ehemaliger Zwangsarbeiter: Drei Niederländer suchen in Dessau Spuren ihres Vaters

Ehemaliger Zwangsarbeiter Ehemaliger Zwangsarbeiter: Drei Niederländer suchen in Dessau Spuren ihres Vaters

Von Detmar Oppenkowski 10.12.2019, 06:00
Wini (Mitte), Dick (zweiter von re.) und Will (li.) haben mit Stadtarchivleiter Frank Kreißler und Mitarbeiterin Jana Müller die Geschichte ihres Vater Anton Kijk in der Vegte rekonstruiert. Er war während des Zweiten Weltkrieges Zwangsarbeiter und auch in den Dessauer Junkerswerken tätig.
Wini (Mitte), Dick (zweiter von re.) und Will (li.) haben mit Stadtarchivleiter Frank Kreißler und Mitarbeiterin Jana Müller die Geschichte ihres Vater Anton Kijk in der Vegte rekonstruiert. Er war während des Zweiten Weltkrieges Zwangsarbeiter und auch in den Dessauer Junkerswerken tätig. Sven Hertel

Dessau - Wini, Dick und Will sind auf Spurensuche im Dessauer Stadtarchiv: Die drei niederländischen Geschwister sind die Kinder von Anton Kijk in de Vegte, der während des Zweiten Weltkrieges als Zwangsarbeiter unter anderem in den Junkerswerken tätig war.

„Wir haben das nicht gewusst“, sagt Will Kijk in de Vegte und meint, erst als man nach der Beisetzung der Mutter im Jahr 2009, der Vater war da schon 15 Jahre lang tot, deren Haushalt auflöste, habe man mehrere Dokumente aus der Zeit gefunden, darunter auch einen sogenannten „Ausländerausweis“ von 1944.

Lange habe man versucht, die einzelnen Puzzleteile zusammenzuführen und die Frage zu klären, was dem Vater während seiner Zeit in Deutschland widerfahren ist. Doch erst nach einem Aufruf des niederländischen Fernsehsenders RTV Oost, der anlässlich des 75. Jahrestages des Kriegsendes im kommenden Jahr eine Dokumentation über die deutsche Besetzung der Niederlande produziert, habe man sich mit der eigenen Familiengeschichte an die Öffentlichkeit gewandt.

TV-Sender hat Kontakt zum Dessauer Stadtarchiv aufgenommen

Der Sender, der von dem Historiker Martin van der Linde unterstützt wird, hat daraufhin Kontakt zum Dessauer Stadtarchiv aufgenommen. „Anfragen von ehemaligen Zwangsarbeiten, die Nachweise über ihren Aufenthalt in Dessau benötigten, gab es in den Nullerjahren viele“, sagt Leiter Frank Kreißler.

Obwohl wenige Dokumente erhalten sind, habe man immer versucht zu helfen und die Schilderung der Menschen durch Recherchen vor Ort zu beglaubigen, damit sie Entschädigungsansprüche geltend machen konnten. Nach seinen Aussagen wurden während des Krieges zehntausende Menschen aus Polen und der Ukraine oder aus Belgien und den Niederlanden gezwungen, gegen ihren Willen in der Stadt arbeiten.

Obwohl die aktuelle Anfrage anders motiviert ist und die Kinder den Werdegang ihres Vaters in Erfahrung bringen wollen, habe man auch hier Unterstützung zugesagt. „Denn wir stellen generell fest, dass die Kinder- und Enkelgeneration ein großes Interesse an der eigenen Familiengeschichte hat. Daher helfen wir dabei, etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Zugleich wollen wir auch unsere Stadtgeschichte ein Stück mehr erhellen“, sagt Mitarbeiterin Jana Müller.

„Wir wissen, dass er als Zwangsarbeiter zunächst in Köln eingesetzt war, um Bombenschäden zu beseitigen“

Nach einem regen E-Mail-Austausch kam es vor wenigen Tagen dann zu einem mehrstündigen Treffen mit den drei niederländischen Geschwistern und dem Kamerateam im Stadtarchiv. Dabei wurden alle mitgebrachten Dokumente auf einen großen Tisch im Arbeitsraum gelegt, gesichtet und so die Geschichte von Anton Kijk in de Vegte rekonstruiert.

Nach jetzigem Kenntnisstand ist der in den 1920er Jahren geborene Niederländer von den deutschen Besatzern im Jahr 1942 dienstverpflichtet worden. „Wir wissen, dass er als Zwangsarbeiter zunächst in Köln eingesetzt war, um Bombenschäden zu beseitigen“, sagt Jana Müller und berichtet weiter: „Einen Heimataufenthalt nutzte Anton Kijk in de Vegte dann, um unterzutauchen. Nachdem er verraten worden war, folgten Inhaftierungen zunächst in einem Arbeitseinsatz- und später dann in einem Durchgangslager.“

Ab Mai 1944 habe sich der Niederländer nachweislich als Zwangsarbeiter in Bernburg befunden. Ab dem 1. August 1944 sei er dann in den Junkerswerken in Dessau gewesen. „Während der Bombardierungen am 16. August 1944 erlitt er schwere Verletzungen. Es folgte eine lange Behandlung in einer Klinik in Nordhausen. Von Januar 1945 bis zum Kriegsende war Anton Kijk in de Vegte dann Zwangsarbeiter in Coswig.“

Im kommenden Jahr soll der Filmbeitrag über Anton Kijk in de Vegte mit Szenen aus dem Stadtarchiv ausgestrahlt werden

Das alles lässt sich aufgrund der mitgebrachten Papiere sagen. Zwar konnten in den Beständen des Stadtarchivs und Landesarchivs Sachsen-Anhalt keine personenbezogenen Dokumente gefunden werden, dennoch erhielten die Nachfahren anhand von Unterlagen und Fotografien einen Eindruck von den damaligen Verhältnissen, unter denen Zwangsarbeiter leben und arbeiten mussten.

„Aus den Zeugnissen, die ihr Vater hinterlassen hat, ging zudem hervor, dass er sich nach der Befreiung und vor seiner Rückkehr in die Niederlande in einer Wäscherei in der Wasserstadt aufgehalten hatte“, sagt Frank Kreißler, der die Existenz dieses Gebäudes bestätigten konnte. Vor ihrer Weiterfahrt nach Nordhausen kündigten die Geschwister an, diesen Platz aufzusuchen.

„Wir sind sehr dankbar für dieses Treffen“, sagt Will Kijk in de Vegte zum Abschied und meint: „Es hat dazu beigetragen, unseren Vater und seine Geschichte besser zu verstehen.“ Seine Familie hat dem Stadtarchiv Kopien der Dokumente aus dem Familienbestand zur Verfügung gestellt. Der Austausch soll fortgesetzt werden. Im kommenden Jahr soll der Filmbeitrag über Anton Kijk in de Vegte mit Szenen aus dem Stadtarchiv ausgestrahlt werden. (mz)