1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Dessau-Roßlau
  6. >
  7. Ecke Muldstraße/Flössergasse: Ecke Muldstraße/Flössergasse in Dessau: Archäologen finden Geheimnisvolles aus dem Jahr 1586

Ecke Muldstraße/Flössergasse Ecke Muldstraße/Flössergasse in Dessau: Archäologen finden Geheimnisvolles aus dem Jahr 1586

Von Silvia Bürkmann 11.02.2019, 10:55
Bevor der Neubau in der Flössergasse entstehen kann, hatten bis vergangenen Freitag Archäologen und Grabungshelfer das Kommando.
Bevor der Neubau in der Flössergasse entstehen kann, hatten bis vergangenen Freitag Archäologen und Grabungshelfer das Kommando. Thomas Ruttke

Dessau - Wer Archäologen bei der Arbeit sieht, auf Knien mit der Nase dicht am Boden, denkt unweigerlich an mögliche Funde: Schmuck, Münzen oder Grabstätten stehen bei Hobby-Historikern hoch im Kurs.

Die Profis freilich freuen sich genauso über alte Werkzeuge, Keramik oder Scherben. Und so machte sich in Dessau-Nord ein Grabungsteam um Ulf Petzschmann (54) ein Geschenk mit einem zerbrochenen Teller. Auf dem nämlich prangte eine Jahreszahl: 1586.

Es geht also fast 500 Jahre zurück. Für Archäologen kulturgeschichtliche Neuzeit. Bagger, Laster oder Krane waren für zweieinhalb Monate von dieser Fläche verbannt. Inzwischen sind Kellen, Kratzer, Handfeger und Pinsel wieder verstaut. Am Freitag haben Archäologen und Grabungshelfer ihre Arbeit an der Ecke Flössergasse/Muldstraße beendet. Das Areal ist frei für das Bauprojekt der Dessauer Wohnungsbaugenossenschaft.

Das Denkmalschutzgesetz des Landes Sachsen-Anhalt ist streng

Zuvor aber ging es ein halbes Jahrtausend zurück in Dessaus Geschichte. Das Denkmalschutzgesetz des Landes Sachsen-Anhalt ist streng. Schreibt für jedes mit Eingriffen in den Boden verbundene Bauvorhaben vorherige Datensicherung und Dokumentation vor, um der Nachwelt Funde und Wissen zu erhalten. Und regelt das Verfahren zweifelsfrei nach dem Verursacherprinzip: Verantwortlich ist der Bauherr.

„Damit ist Sachsen-Anhalt allen Bundesländern mal weit voraus“, meint Ulf Petzschmann. Der Archäologe und 1. Vorsitzende vom Anhaltischen Förderverein für Naturkunde und Geschichte ist stolz auf seine Berufskollegen und enthusiastischen Helfer. Und findet die Klarheit hiesiger Gesetzgebung absolut berechtigt: „Mitteldeutschland hat die Hotspots der Bodendenkmale. Hier trafen sich über Jahrtausende die Menschen- und Warenströme.“

Was hat Dessaus Geschichte nun freigeben? Auf dieser vergleichsweise kleinen Grabungsfläche unter einem künftigen Mehrgeschosser? Etwa zwei Meter unter dem derzeitigen Straßenniveau? Mit dem Glücksfund des beschrifteten Tellers haben die Ausgräber einen wichtigen Ansatzpunkt: 16. Jahrhundert. Da war Dessau nicht nur Stadt. Sondern bereits feste Residenz einer Linie askanisch-anhaltinischer Fürsten und damit Hauptstadt des Fürsten- und späteren Herzogtums Anhalt-Dessau.

Im heutigen Grabungsareal lag im 16. Jahrhundert die Muldvorstadt

Und eben das Jahr 1586 spielt da keine unwichtige Rolle: Fürst Joachim Ernst von Anhalt nämlich, der 1570 die verstreuten anhaltischen Länder und Besitztümer unter komplizierten Erbfolgen in seiner Hand vereinen konnte, war am 6. Dezember 1586 in Dessau gestorben. Und genau 432 Jahre später fällt am Nikolaustag 2018 ein Keramikteller Archäologen in die Hände. Ominöser Zufall oder Treppenwitz?

Das Team von Grabungsleiter Ulf Petzschmann indes hält sich an staubige Funde und Fakten: Im heutigen Grabungsareal lag im 16. Jahrhundert die Muldvorstadt. Dessau erlangte größere Bedeutung und mehr Einwohner. Ab 1536 entstand im Osten die Muldvorstadt wie 1534 südlich der Altstadt die sogenannte Sandvorstadt. Beide Quartiere außerhalb der Stadtmauern um den kleinen, historischen Stadtkern wurden immer dichter besiedelt.

Alte Hoftöpferei im Grabungsfeld Flössergasse gefunden

Gerade in der Muldvorstadt beförderte die Nähe von Schloss, Rathaus und Stadtkirche St. Marien die Ansiedlung von Handel und Handwerk. Und irgendwann taucht eine Hoftöpferei von W. Weller auf. Dessen Hinterlassenschaften nämlich finden sich im Grabungsfeld Flössergasse. Zu den großen Funden gehören zwei Brennöfen und drei Brunnen. „Es ist möglich, dass es hier eine Fertigung mit Keramik-Serienproduktion gab.“ Archäologen legen sich nur ungern fest. Petzschmann aber hat erfahren, dass im Dessauer Hausbuch von 1821 ein Wilhelm Weller in der Breiten Straße 43 vermerkt war. War er der Hoftöpfer von nebenan?

Jetzt sind Funde aus insgesamt 30 „Bananenkisten“ für die Datenbank des Landesamtes auszuwerten. Für die Bodendenkmalpfleger muss es aber kein langer Abschied von Dessau sein. Im Frühjahr, so Petzschmann, sei noch ein „Suchschnitt“ geplant auf einer benachbarten Fläche. Hinter dem neuen Mehrfamilienhaus entsteht eine Tiefgarage. (mz)

Anfang November 2018 gab es den symbolischen ersten Spatenstich für das innerstädtische Bauprojekt der Wohnungsgenossenschaft an der Ecke Muldstraße/Flössergasse. In einem viergeschossigen Neubau sollen 32 Mietwohnungen in unterschiedlichen Größen entstehen. Entworfen und geplant wurde der Neubau vom Dessauer Architektenbüro Seelbach und Frohnsdorf, langjähriger Partner der Genossenschaft.

Die Dessauer Wohnungsgenossenschaft investiert als Bauherrin in das Projekt 7 Millionen Euro. Es gibt erste Vorreservierungen. Fertigstellung ist für Herbst 2020 geplant.

Grabungsleiter Ulf Petzschmann mit einigen der Funde. Kacheln und Fliesen weisen auf die serienmäßige Produktion von Gebrauchskeramik hin.
Grabungsleiter Ulf Petzschmann mit einigen der Funde. Kacheln und Fliesen weisen auf die serienmäßige Produktion von Gebrauchskeramik hin.
Thomas Ruttke
Die Grabungshelfer André Benke (vorn) und Marco Weber putzen die Flächen und Profile zur abschließenden Grabungsdokumentation per Foto.
Die Grabungshelfer André Benke (vorn) und Marco Weber putzen die Flächen und Profile zur abschließenden Grabungsdokumentation per Foto.
Thomas Ruttke
Die Scherbe mit der Jahreszahl 1586
Die Scherbe mit der Jahreszahl 1586
Thomas Ruttke
Florale Ornamente einer Gesimskachel
Florale Ornamente einer Gesimskachel
Thomas Ruttke