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Dr. Joachim Winkler Dr. Joachim Winkler: Zum letzten Mal Bereitschaftsdienst

Von Wladimir Kleschtschow 29.01.2003, 18:29

Köthen/MZ. - Was er damit anfängt, weiß er noch nicht. Bücher lesen zum Beispiel - keine Fachbücher, sondern etwas Schöngeistiges. Bisher kam er selten dazu. Besonders in den letzten beiden Jahren war es hart: Da einige Stellen im Krankenhaus nicht besetzt waren, mussten die Mediziner mehr arbeiten. Jetzt ist es besser geworden, einige jüngere Kollegen kamen hinzu. Nun geht Winkler selber. Generationswechsel.

Im April wird er 65. Seit rund 40 Jahren arbeitet der gebürtige Pratauer (Wittenberg) in Köthen. "Nach meinem Studium in Halle war ich kurze Zeit in Dessau. 1964 kam ich nach Köthen: Damals herrschte hier ebenfalls Ärztemangel. Parallel zu meiner Arbeit als Internist fuhr ich regelmäßig nach Dessau, um Pathologie und Radiologie zu lernen."

Gelernt hat er sein ganzes bisheriges Leben lang. Zum Beispiel aus Fachzeitschriften: "Da bin ich immer auf der Suche, ob etwas auch bei uns anwendbar ist". Abgehärtet hat ihn seine lange Tätigkeit nicht: "Als Arzt leidet man mit dem Kranken mit". Zwar gebe es viele Geräte, die eine Diagnose erleichtern. "Wenn ich zum Beispiel die Leber eines Patienten untersuche, lege ich aber wie bisher meine Hand auf seinen Körper. Dieser Kontakt schafft Vertrauen. Erst danach kommt ein Gerät zum Einsatz."

Gab es in diesen 40 Jahren Fälle, wo er den Kampf um Patienten-Leben verlor? "Solche gibt es wohl bei fast jedem praktizierenden Arzt", sagt Joachim Winkler nachdenklich. "Jeder einzelne geht unter die Haut." Man stelle sich dann immer und immer wieder die Frage, ob nicht doch etwas hätte getan werden können, damit der Mensch weiter lebt. "Dann ist es gut, jemanden zu Hause zu haben, mit dem man darüber reden kann", sagt der Arzt. Mit seiner Frau, sie ist Lehrerin von Beruf, konnte er reden. Später auch mit seinem Sohn, der jetzt selber ein Arzt in Dessau ist.

Es gab auch Patienten, die dank Dr. Winkler dem Tod buchstäblich in letzter Sekunde von der Schippe gesprungen sind. Wie jenen Mann, dessen Herz still stand, als er mit Blaulicht ins Krankenhaus gebracht wurde. Während ein Kollege Herzdruckmassage machte, führte Winkler dem Patienten ein Katheder ein. Ein Herzschrittmacher brachte den fast schon Toten ins Leben zurück. "Er öffnet die Augen, sieht uns an und fragt: ,Wo bin ich?' Von der ganzen Aufregung hat er nichts mitbekommen," erinnert sich Winkler. "Den Mann treffe ich manchmal, er lebt mit einem Schrittmacher und kann sogar Sport treiben". Wäre der Arzt nur ein wenig langsamer, wäre der Patient gestorben oder zu einem Pflegefall geworden.

Als Arzt und Mensch hat Dr. Winkler einen Wunsch: Dass man es schafft, alle Arten von Krebs zu heilen. Dass es keine hoffnungslosen Fälle mehr gibt. "Vielleicht geht es mit Hilfe der Gentechnik", sagt er. Vielleicht schafft es die nächste Generation von Ärzten. Er selbst hat nur noch zwei Arbeitstage. Am Freitag ist die Verabschiedung. Den Bereitschaftsdienst am Wochenende macht Dr. Winkler aber noch mit. Das hat er sich nicht nehmen lassen.