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Die Umkehr von der Sigrune zum Kreuz

Von Thomas Altmann 20.10.2006, 17:01

Dessau/MZ. - Heinz Lischke, Pfarrer in Rente, las am Donnerstag in der Anhaltischen Landesbücherei. Eingeladen hatte "Forum Kirche", die Evangelische Erwachsenenbildung der Anhaltischen Landeskirche. Das Kochgeschirr, der Aluminiumlöffel, das Neue Testament: Zuerst zeigt er die bescheidene Habe des Kriegsgefangenen, auch das beschriebene Zigarettenpapier, das im Zahnputzpulver nach Hause geschmuggelt worden war. Jahre später formte Lischke aus den Notizen ein Buch: "Die Umkehr", erschienen unter dem Pseudonym Henryk Silesius im Verlag "Books on Demand" Norderstedt.

"Ich bin Günter Grass dankbar, dass er das Thema ins Gespräch gebracht hat", sagt Lischke vorab. Auch er sei in den letzten Kriegswochen als Freiwilliger rekrutiert worden. Vor der Lesung skizziert Lischke die Geschichte der Verführung. Eingeschult in eine evangelische Schule in Breslau, habe der Unterricht noch mit Gebet und Choral begonnen. Dann kommen der deutsche Gruß und das Hitlerbild. "Ich war Hitlerjunge mit Stolz. Ich gehörte ihm. Wir waren Hitlers Kinder", sagt Lischke und: "Er hatte uns in der Gewalt. Er hat uns vom Elternhaus entfremdet." Da mag man bedauern, dass die Mechanismen der Verführung nicht näher betrachtet werden. Ein Offizier, erzählt Lischke noch, sei in die Schule gekommen. Er habe geworben für die "Elitetruppe" und ein Schreckbild des Untermenschen ausgemalt. Heinz habe sich gemeldet. Die Mutter habe unterschrieben.

Silvester 1944 / 55: Das Buch beginnt in einem Lager des Reichsarbeitsdienstes. Heinz war siebzehn. Abmarsch, die Rote Armee im Nacken, Ende Januar. Registrierung in der Erfassungsstelle der Waffen-SS am 21. Februar. Einsatz an der Donau. "Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke" las er. Kameraden, eben noch Kinder, starben. Kapitulation. Versuche, zu den Amerikanern zu gelangen. Auslieferung. Abtransport. Ankunft im Kaukasus-Schwarzmeer-Gebiet.

Hunger, Kälte, Krankheit folgen, Berichte vom Alltag in sowjetischer Gefangenschaft, bis die Opfer-Täter-Relation zu schwanken beginnt. Dann endlich setzt "die Umkehr" ein, 1947, im Hafenlager Noworossijsk. Erst las er Herders "Briefe zur Beförderung der Humanität". Dann nahm er an Andachten teil, auf der Wiese unterm Wachturm. Hier hörte er seinen Konfirmationsspruch aus dem 1. Timotheusbrief wie zum ersten Mal: "Kämpfe den guten Kampf des Glaubens!" Es folgte die schlaflose Nacht. Am Neujahrsmorgen 1950 fuhr endlich der Waggon über die polnische Grenze.

Der Untertitel des Buches führt ein anders Bibelwort: "Ich will mein Volk schmelzen und prüfen" (Jeremia 9,6). Er habe die Gefangenschaft als Läuterungsprozess begriffen. "Für diesen Prozess bin ich meinem Schöpfer dankbar", sagt Lischke. Der innere Weg bleibt Skizze. Die Worte Verführung und Glauben stehen dicht hintereinander. Lischke war zuletzt Pfarrer in Zerbst. 1994 gründete er innerhalb der Gemeinschaft evangelischer Schlesier die "Landesarbeitsgemeinschaft Anhalt". 2004 wurde ihm das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen.