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Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: Was für eine Heimat ist Dessau?

Von HEIDI THIEMANN 17.09.2010, 17:02

DESSAU/MZ. - Es war gar nicht so einfach gewesen, Menschen zu finden, die Auskunft geben über sich. Menschen, denen Dessau eine neue Heimat ist. Doch nun hält Kristin Ebert die kleine 16 Seiten starke Broschüre in der Hand, "die niemals ohne unsere jugendlichen Projektteilnehmer zustande gekommen wäre". "(M)eine neue Heimat - Erlebte Geschichten Dessauer Migrantenfamilien" - festgehalten und aufgeschrieben in einem nur sechsmonatigen Projekt des Multikulturellen Zentrums, gefördert vom Land und dem Europäischen Sozialfonds.

Kristin Ebert, Diplom-Soziologin, war gemeinsam mit 12 Jugendlichen in deren Freizeit auf Spurensuche, um Menschen zu befragen, warum sie aus ihrer Heimat nach Deutschland gekommen sind. Welche Erfahrungen haben sie auf diesem Weg hierher gemacht und wie sieht ihr Leben in der neuen Heimat aus? Was ist aus ihren Träumen und Wünschen geworden? "Diese Broschüre gibt Aufschluss, wirft ein anderes Licht, schaut hinter die Zahlen, gibt den Menschen ein Gesicht", heißt es im Vorwort.

1 976 Immigranten leben in Dessau - sie kommen aus über 100 Ländern. Vier von ihnen kommen in der Broschüre zu Wort. Von Zwangsverheiratung und Träumen erzählt die 27-jährige Mariama B. Mit 15 Jahren wurde die Nigerianerin verheiratet, kam auf diesem Wege nach Deutschland und bekam von dem Mann, für den sie "keine Liebe hat" drei Kinder. Heute ist sie geschieden. "Ich wünsche mir eine bessere Zukunft", erzählt sie, "aber eine bessere Zukunft hier geht nicht. Ich habe keinen Beruf." Mariama will mit ihren Kindern zurück nach Afrika.

Richtig angekommen in Deutschland ist Dr. Mohei Qadduri. Deutschland "ist meine Heimat", sagt der Mann, der 1968 mit 19 Jahren aus dem Irak in die DDR kam, um hier Medizin zu studieren. Er wurde Chirurg, arbeitete zuerst im Krankenhaus Dessau-Alten, später im Evangelischen Krankenhaus Wittenberg. "Ich würde gern im Irak leben, aber ich lebe auch gerne hier und daran ändert sich jetzt sicherlich nicht mehr viel. Meine Kinder wurden hier geboren."

Aus Kurdistan stammt Bajat Masifi. Vor einem Bombardement ist seine Familie geflüchtet, als er 13 Jahre alt war. "Irgendwann hatte ich genug von Kurdistan. Ich wollte reisen, die Welt sehen, meiner Frau und meinem Kind ein besseres Leben ohne Krieg bieten." Niemals würde er wieder zurück gehen. "Deutschland ist mein Traumland!" Begeistert ist er beispielsweise von den Freizeitmöglichkeiten. "Wenn ich noch ein Jugendlicher wäre, würde ich meine ganzen Wochenenden verplanen."

"Integriert fühle ich mich nicht in diesem Land", sagt Mouctar Bah, der seit 1992 in Deutschland lebt, seit 2004 in Dessau. Er stammt aus Guinea in Westafrika. Dessau bezeichnet er nicht als seine Heimat. Was nicht an den Bürgern liege, sondern an den Behörden, der Verwaltung. "Was dieser Stadt fehlt, ist mehr Ehrlichkeit."

Die Interviews mit den Partnern haben die Jugendlichen selbst geführt, vorbereitet darauf wurden sie bei Workshops, die auch die Besuche im MDR-Regionalstudio Dessau und im MDR-Funkhaus Halle einschlossen, erzählt Ebert. Ebenso spricht sie von der Begeisterung, als die fertigen Interviews in die Broschüre "gegossen" wurden - mit Hilfe von Jens Puhle von Designroyal. Die jugendliche Handschrift ist auch hier deutlich zu spüren.

Felix Büttner und May Minhel sind zwei der Jugendlichen, die viel Zeit, aber auch Enthusiasmus in das Projekt investiert haben, weil sie selber wissen wollten, welche Wege Menschen nach Deutschland führten, wie sich ihr Leben gestaltet. "Es gibt nicht den Migranten", sagt Felix Büttner, "wir wollten die Vielfalt zeigen."

Nicht alle Geschichten haben in der Broschüre - aus Zeit- , aber auch Kostengründen - Platz finden können. "Vielleicht", sagt Kristin Ebert, "gibt es Möglichkeiten einer Fortsetzung." Vielleicht auch mit den Geschichten von Migrantenkindern, die zum Teil in ihrer alten Heimat, zum Teil in Deutschland geboren worden.