Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: Sang- und klanglos weg
DESSAU/MZ. - Christa Hundt hat es nicht übers Herz gebracht zu kommen. Zur letzten Lesung - sprich zum Niedergang der Bibliothek in Dessau-Süd. Am Donnerstagnachmittag ist in der Mittelbreite die letzte Lesung - ein Protest gegen die Schließung - verklungen, wo Christa Hundt langjährig als Bibliothekarin tätig war, Erwachsene, aber vor allem viele Kinder begleitet hatte. Sie habe, teilt die Rentnerin mit, aus emotionalen Gründen nicht dabei sein können. Die Bibliothek war ihr zweites Zuhause.
Die Enttäuschung und Wehmut war nicht nur in Hundts Brief zu spüren, sie war förmlich greifbar zwischen den Regalen und den zigmal gelesenen Seiten der Bücher und der Zeitschriften... Eine kündet von der "Welt der Wunder". Das Wunder aber blieb aus für die Bibliothek in Süd, ebenso wie für die Stadtteilbibliotheken in Ziebigk und im Zoberberg.
Diese drei öffentlichen Orte, sagt Guido Frisch vom Förderverein der Anhaltischen Landesbibliothek, sind "sang- und klanglos weggefallen", weil die Stadt sparen muss. 600 000 Euro an Einsparungen sind allein im Bibliotheksbereich gefordert. Ein Viertel davon macht die Schließung der drei Stadtteilbibliotheken aus, die im vergangenen Jahr über 14 800 mal besucht worden waren, wo die Leser 48 400 Bücher und andere Medien entliehen hatten. Die Zahlen wären weitaus höher, wäre nicht die Bibliothek im Zoberberg wegen Sanierungsarbeiten an der Schule bis zum Herbst geschlossen gewesen.
"Wir fordern", sagte Frisch, "dass die Fragen der Grundversorgung geklärt werden." Damit die Menschen weiterhin an der Bibliothek teilhaben können. In Dessau-Süd, stellt er nüchtern fest, "existiert nun kein Bildungspunkt mehr." Das schmälere die Lebensqualität der Stadt.
Antworten auf die Fragen zur Wegnahme der Bildungskultur, die in den Stadtteilen seit Jahrzehnten vorgehalten worden war, hätten Stadträte und Landespolitiker geben können. Wenige sagten die Einladung ab - auch aus Gesundheitsgründen. Gekommen aber ist nicht einer. "Der Faktor Mensch", ist der Vorsitzende enttäuscht, "wird sehr gering geschätzt."
Gegen den willkürlichen Kulturabbau in Dessau-Roßlau, erklärte Uwe Weber von der Initiative "Land braucht Stadt" sind 14 100 Unterschriften gesammelt worden. Doch eine "Menge Sparmaßnahmen sind einfach durch die kalte Küche in die Kommunalpolitik eingeschoben worden", kritisierter er und zitierte Altbundeskanzler Helmut Schmidt: Bibliotheken sind die geistigen Tankstellen einer Nation.
Welche Alternativen aber hat es in Dessau-Roßlau zur Schließung der drei "Tankstellen" in Süd, Ziebigk und am Zoberberg gegeben? Wie wurden sie diskutiert? Nüchtern kann Weber nur feststellen: "Das Angebot ist weg."
Die Argumente von Guido Frisch und Uwe Weber können die Bibliotheksnutzer nur allzu gut nachvollziehen. "Das ist ein Trauerspiel", murmelt mancher, andere fragen sich, was ihre Unterschrift gegen den Kahlschlag überhaupt wert war. Der Abschied von der Bibliothek in Süd mit einer Lesung, die Guido Frisch und Doris Hacke mit Gedichten verschiedener Autoren gestaltet haben, ist für manchen wahrscheinlich auch ein Abschied von der Bibliothek im Ganzen.
"Ich hoffe natürlich, dass viele Leser mit in die Hauptbibliothek kommen", sagte Annette Türke. 18 Jahre lang hatte sie in Süd gearbeitet, vier Jahre auch in Ziebigk. "Der Abschied fällt schwer", gibt sie unumwunden zu und auch, dass die Schließung der Bibliothek gewissermaßen ein Tod auf Raten war. Denn in den letzten Monaten ist sie immer wieder von ihren Lesern daraufhin angesprochen worden. Mancher Leser hatte gedacht, es geht nun in den Schulbibliotheken weiter und wäre eben in die Kreuzbergschule gegangen...
600 Leser hatte Annette Türke in den letzten drei Jahren allein betreut und hielt dazu regelmäßig Kontakt zu Kindergärten, Horten und Schulen. "Zu vielen Lesern hatte ich auch einen ganz engen persönlichen Kontakt. Denn die Leute kamen nicht nur regelmäßig zur Ausleihe her, viele kamen auch zum Erzählen." Und viele Leser nutzen am Donnerstag deshalb auch die Gelegenheit, sich von der Bibliothekarin zu verabschieden. Und in den Augen blitzte dabei manche Träne.