Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: Grundwasser steigt und steigt
DESSAU-ROSSLAU/MZ. - Aus der Alten Leipziger Straße kommt ein Hilferuf. Dort, schreibt ein Leser, könne sich niemand erinnern, dass jemals Wasser in die Keller eingedrungen sei. Diesen Herbst floss es aus den Kellerstufen der Außentreppe hinab und drückte aus Rissen im Fußboden in den Keller. Auch in der Doppelreihe kennt man solche Erscheinungen oder in Kleutsch und seit Jahren in Alten: Der Grundwasserspiegel ist so hoch, dass Wasser in Gebäude eindringt. Viele schauen vorwurfsvoll auf die Stadtverwaltung. Gerd Pfefferkorn, Leiter des Tiefbauamtes wurde mit den Leserfragen konfrontiert. MZ-Redakteurin Annette Gens sprach mit ihm.
Die Bürger beklagen, dass die Stadt nicht genügend unternehme, die Gräben zu wenig gekrautet würden und Dessau auch dadurch gewaltige Probleme mit Grund- und Oberflächenwasser habe.
Pfefferkorn: Wir wissen um das Problem, das kein rein Dessauer Problem ist und in diesem Jahr vor allem auf extreme Regenfälle zurückzuführen ist. Ich erinnere an die letzten Septembertage. Es hat ungewöhnlich viel geregnet. Die hydrologischen Monatsberichte von September und Oktober des Gewässerkundlichen Landesdienstes legen dar, dass die Großwetterlagen, wie schon in den Monaten zuvor, auffällige Abweichungen vom üblichen Muster der so genannten Westwindzone zeigten.
Das Problem mit dem Grund- und Oberflächenwasser begann aber schon im vergangenen Winter?
Pfefferkorn: Ja, weil der im Vergleich zu vergangenen Jahren ungewöhnlich schneereich war. Resultierend aus diesen tauenden Schneemengen und den darauf folgenden niederschlagsreichen Monaten, begann das Grundwasser sukzessive anzusteigen. Die kurze Trockenperiode im Juli konnte den Anstieg nur verlangsamen. Die Tiefs konnten sich tagelang über der Region halten, die Niederschläge lagen erheblich über dem Monatsmittel. Der meiste Regen fiel vom 25. bis 27. September. Allein in der Wetterstation in Dessau wurden im erwähnten Zeitraum fast dreimal so viele Niederschläge wie üblich gemessen. Das heißt, dass die Gräben viel mehr beansprucht waren, als in den Vorjahren. Und die Böden sind von Wasser gesättigt.
Welche zusätzlichen Maßnahmen hat die Stadtverwaltung ergriffen?
Es wurde eine zweite Krautung der wasserwirtschaftlich bedeutsamen Gräben veranlasst, so dass dort der Oberflächenabfluss gewährleistet ist und nicht zusätzlich auf die Grundwassersituation Einfluss nehmen kann. Das Abflussgeschehen wird allerdings stark durch die hohen Wasserstände im gesamten Einzugsgebiet von Mulde und Elbe beeinflusst, so dass das Wasser nur langsam abfließt.
Wie sieht es mit der Technik aus?
Pfefferkorn: Für einige Erneuerungen wurden dem Tiefbauamt kurzfristig zusätzliche finanzielle Mittel aus dem städtischen Haushalt zur Verfügung gestellt. Zum Beispiel wird an den Prödelteichen bei Mosigkau eine Schleuse erneuert. 43 000 Euro gibt die Stadt dafür aus. Das Bruchgrabensiel in Großkühnau erhält eine neue Stautafel aus Stahlprofil mit einem Spindelgetriebe und einer zusätzlichen Wartungsschiebertafel in VA-Qualität. Kostenpunkt 87 000 Euro. Die Pumpen und das Steuersystem in der Anlage der Brunnengalerie am Zoberberg mussten aufgrund der Zerstörung durch den Wassereinbruch ausgewechselt werden. Die Leistungsfähigkeit der Grundwasserabsenkungsanlage ist durch die Neuinstallation von zwei hochwertigen Pumpen und dem neu installierten Steuersystem erhöht worden. In Mosigkau sind wir dabei, ein Vorwarnsystem ähnlich der Wasserwehr aufzubauen. Weitere Maßnahmen sind 2011 trotz der angespannten finanziellen Situation der Stadt geplant.
Ein altes Sprichwort sagt, die Kette bricht am schwächsten Glied. Wie viele Schwachstellen haben die Grabensysteme der Stadt?
Pfefferkorn: Wir haben, was die technischen Anlagen betrifft, einen hohen Investitionsbedarf. Das ist wahr. Aber so einfach ist die Rechnung nicht, denn das hieße ja im Umkehrschluss, wenn die Grabensysteme in Ordnung wären, würden wir in der Stadt keine Probleme mit dem Grund- und Oberflächenwasser haben. Fakt ist: Wir können bei intakten Anlagen die Wasserstände geringfügig beeinflussen und lokal im Dezimeterbereich senken. Es gibt wesentlich mehr Faktoren, die eine Rolle spielen. Unter anderem steht die Wasserführung von Elbe und Mulde im direkten Zusammenhang mit der Grundwassersituation in der Stadt. Die Grundwasserstandsentwicklung verlief in den letzten Monaten aufgrund der heftigen Niederschläge entgegen dem Trend, das heißt durchweg stark steigend. Im Ergebnis sind im Raum Dessau die Grundwasserstände um einen halben bis zu über einem Meter angestiegen.
Was kann man tun, das Wasser abzusenken, um Gebäude vor Schaden zu bewahren?
Pfefferkorn: Technisch ist sicher vieles möglich, aber es muss finanziert werden. Wir müssen uns zunächst einmal im Klaren werden, ob die erheblichen Niederschläge auf den Klimawandel oder auf eine Laune der Natur zurückzuführen sind. Niemand kann heute sagen, ob wir uns künftig auf viele solcher Regenereignisse einzustellen haben. Und wenn, dann ist die Frage, ob wir als Kommune in der Lage sind, unsere Gewässeranlagen auf solche Ereignisse auszubauen, welche technischen Maßnahmen erforderlich sind und wie sie finanziert werden sollen. An dieser Stelle ist die Politik gefragt und dieses länderübergreifend. Ich erinnere daran, dass wir allein in diesem Jahr sechs Mal Hochwasser an der Elbe registriert haben. Das Auengebiet der Taube sowie deren Wasserführung werden intensiv durch Niederschläge beeinflusst. Bei Hochwasser können Vorfluter, zum Beispiel die Taube, nicht im erwarteten Maße abfließen.
Das Dargelegte wird die vielen Betroffenen nicht trösten.
Pfefferkorn: Das kann ich verstehen. Doch rein rechtlich ist die Sachlage klar. Den Bauherren und nicht die Kommune trifft in Bezug auf den Grundwasseranstieg das Baugrundrisiko. Keine Kommune schreibt einem Bauherren vor, in welchen Maße er sein Haus zu schützen hat. Ob er eine so genannte weiße Wanne baut oder darauf verzichtet. Darüber hinaus hat sich in Bezug aufs Wohnen vieles gewandelt. Keller waren früher als solche genutzt worden, sind heutzutage jedoch zu Wohnräumen umfunktioniert.