Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: Gondeln bei Wind und Wetter
ROSSLAU/WÖRLITZ/MZ. - Regen zum traditionellen Frühlingserwachen in Wörlitz? - Niemand wünscht sich dies wirklich, auch wenn ein paar Regentropfen an jenem Samstag, 19. März, an dem die gesamte Region in die historischen Parkanlagen zu Wörlitz blicken wird, für die ohnehin wettererprobten Akteure nicht das Problem wären. Zumindest die erste der insgesamt 20 Wörlitzer Gondeln könnte ihre Gäste trocken über den See und durch die Kanäle der dortigen Anlagen bringen. Möglich wurde dies durch eine Kooperationsarbeit von Roßlauer Schiffswerft und der Pocher Boote GmbH.
Lange schon hatte die Kulturstiftung sich mit dem Gedanken getragen, die Gondeln überdachen zu lassen. Denn es ist kein Geheimnis, dass Gäste des Parks bei Regenwetter meist auf eine Gondelfahrt verzichten und damit für die Kulturstiftung Einnahmeverluste entstehen. Bislang scheiterte das Projekt aber am Geld, sagte Stiftungsdirektor Thomas Weiss. Im vergangenen Jahr hatten Lotto-Toto und die Kulturstiftung den Auftrag dennoch auf den Weg bringen können.
Seit Ende des Jahres steht eine der Wörlitzer Gondeln in der Roßlauer Schiffswerft und wurde für das Projekt ausgemessen und vorbereitet. Rund eineinhalb Monate später wird das Ergebnis inspiziert. Schlicht sehen Überdach und Seitenwände aus und können deshalb auch nicht von der Schönheit des Parks, die die Gäste vom Boot aus erleben können, ablenken. Die Konstruktion ist darüber hinaus durchaus praktisch und bietet selbst dem Gondoliere bei schlechtem Wetter Schutz. Die "Laube", die ihm gebaut wurde, erinnert an das Verdeck eines Landauers.
An dem Überdach-Prototypen haben angehende Konstruktionsmechaniker getüftelt, sagt Schiffswerft-Prokurist Axel Tautermann. Das Rohre biegen und verformen sowie das Gewindeschneiden sind Ausbildungsinhalte. Beim Bau der Metallkonstruktion konnten die Auszubildenden das gelernte Rüstzeug praktisch anwenden. "Die Dachkonstruktion", versichert Tautermann, "ist so konzipiert, dass die Gondel auch bei höherem Wasserstand alle Brücken des Parks befahren kann."
Wie viel Meter imprägnierten Bauwollstoff Anita Zander und Birgit Wandel, beide Näherinnen der Poucher Boote GmbH, für das Verdeck zuschneiden und verarbeiten mussten, wissen sie nicht. Sie wirken sehr routiniert, es ist nicht der erste Spezialauftrag, den das im Landkreis Anhalt-Bitterfeld angesiedelte Unternehmen bearbeitet.
Die Poucher Boote GmbH ist ein innovatives Unternehmen. Aus alter Faltboottradition werden im Zusammenhang mit neuen Produktideen Faltboote einer neuen Generation entwickelt. Innerhalb von fünf Jahren entstanden drei neue Bootstypen mit einer hochwertigen Beschlagstechnik. Dank der Verwendung von Edelstahl können die Poucher Boote auch auf dem Meer fahren. Faltboote werden in Pouch übrigens seit 1953 produziert.
Bei der Gestaltung des Verdecks für die Wörlitzer Gondel unterstrichen die Poucher eindrucksvoll ihren Sinn für praktische Lösungen. Dach und Seitenverdeck werden von Reisverschlüssen zusammengehalten und sind - schönes Wetter vorausgesetzt - schnell abgetrennt.
Apropos schlechtes Wetter in Wörlitz: Wer trotzdem Gondel fährt, muss deshalb auf die Parkansichten nicht verzichten. In der Konstruktion sind "Fenster" eingebaut, die einen Panorama-Blick ermöglichen. So denn der Wörlitzer See zum Frühlingserwachen nicht zugefroren ist, steht einer Jungfernfahrt am 19. März nichts entgegen. Mit ins Boot sollen an diesem besonderen Tag natürlich diejenigen, die daran gebaut haben und ministerieller Besuch aus Magdeburg. Vielleicht wird bei der Tour auch darüber geredet, ob bis zum Anhalt-Jubiläum 2012 weitere Gondeln ein Dach erhalten können.